Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter – Anmerkungen zu Lukas 10, 30 – 37

El bon samarità (1838), de Pelegrí Clavé i Roquer

El bon samarità (1838), de Pelegrí Clavé i Roquer [Public domain], via Wikimedia Commons

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Der Wortverkündigung am Sonntag dieser Woche liegen Verse aus dem 10. Kapitel des Lukasevangeliums (zum Hintergrund des Lukasevangeliums siehe: Klick! und Klick!) zugrunde. Wie immer betrachten wir diese Verse in ihrem Kontext:

“Jesus erwiderte und sprach: Ein gewisser Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber, die ihn auch auszogen und ihm Schläge versetzten und weggingen und ihn halb tot liegen ließen. Von ungefähr aber ging ein gewisser Priester jenen Weg hinab; und als er ihn sah, ging er an der entgegengesetzten Seite vorüber. Ebenso aber auch ein Levit, der an den Ort gelangte: Er kam und sah ihn und ging an der entgegengesetzten Seite vorüber. Aber ein gewisser Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm hin; und als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt; und er trat hinzu und verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn. Und am folgenden Tag zog er zwei Denare heraus und gab sie dem Wirt und sprach: Trage Sorge für ihn; und was irgend du noch dazu verwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen von dem, der unter die Räuber gefallen war? Er aber sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin und tu du ebenso.

(Lukas 10, 30 – 37 ELBEDHÜ; z. Vgl. LUTH’84)

Der große Zusammenhang von Lukas 10, 25 – Lukas 11, 13

Unser heutiger Predigttext ist Teil eines größeren Abschnittes (Kapitel 10, 25Kapitel 11, 13) des Lukasevangeliums, in dem es immer wieder um ein einziges Thema geht – Beziehungen: In Lukas 10, 25 – 37 geht es um die Beziehung, die die Jünger Jesu zu ihren Nächsten, ihren Mitmenschen, haben. Der Herr Jesus Christus belehrt sie und uns durch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter dahingehend, dass jeder Mensch – unabhängig von seiner Herkunft, Religion oder seiner sozialen Stellung – unser Nächster ist. Gott erwartet von uns, dass wir uns diesem Nächsten helfend zuwenden, wenn er/sie unsere Hilfe braucht. Daran anschließend berichtet uns der Evangelist von den Ereignissen im Haus von Martha und Maria (Lukas 10, 38 – 42). Hier steht die Beziehung des Jüngers bzw. Gläubigen zu seinem Herrn  im Vordergrund. In Lukas 11, 1 – 13 schließt sich dann zuerst das so genannte “Vaterunser“ (“Unser Vater“) und danach das Gleichnis des Herrn Jesus Christus von dem bittenden Freund an. Durch dieses Gleichnis macht der Herr Seinen Jüngern deutlich, dass Er ihnen mit dem vorgenannten Gebet nicht nur eine allgemeine Belehrung über Gebet oder ein rituelles, zu wiederholendes Gebet geben wollte, sondern, dass Er sie damit über ihre Beziehung zu Gott, ihrem himmlischen Vater, belehren will.

Anmerkungen zu Lukas 10, 30 – 37

* “Jesus erwiderte und sprach: Ein gewisser Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber, die ihn auch auszogen und ihm Schläge versetzten und weggingen und ihn halb tot liegen ließen.“ Lukas 10, 30 – Wie wir aus den vorhergehenden Versen wissen, erzählte der Herr Jesus Christus dieses Gleichnis, um die falsche Sicht eines Schriftgelehrten über die Frage, “wer der Nächsten“ sei zu korrigieren.
Es fällt auf, dass der Herr bzgl. des betroffenen Menschen weder von einem Volk spricht, dem er zugehörig war, noch einen Beruf nennt, den dieser ausgeübt hat. Er spricht nur von einem “gewissen Menschen“. Aber wir können doch davon ausgehen, dass es sich bei diesem Menschen um einen jüdischen Reisenden gehandelt hat.  Die ungefähr 28 Kilometer lange Wegstrecke von Jerusalem nach Jericho war eine kurvenreiche, nach unten stark absteigende Straße, die aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit von Kriminellen gern zu Raubüberfällen genutzt wurde. Der Herr erwähnt, dass der “gewisse Mensch“ auf seiner Reise von Jerusalem nach Jericho unter ebensolche Räuber fiel und diese ihm alles nahmen, ja ihn sogar  auszogen. Kleidung war zur Zeit Jesu ein wertvoller Besitz. Man konnte sie für sich selbst verwenden, aber auch gut verkaufen- Aus diesem Grund war Kleidung auch ein willkommenes Raubgut. Manche Kommentatoren haben in der Aussage, dass die Räuber dem “gewissen Menschen“ Schläge versetzten, so dass er anschließend halb tot war, einen Hinweis darauf gesehen, dass er sich gewehrt haben muss. Doch da der Text dies selbst nicht ausdrücklich sagt, ist dies reine Spekulation. Genauso gut ist es möglich, dass die Täter das Opfer so schwer verletzten wollten, dass es an seinen Verletzungen starb, um eine mögliche Wiedererkennung durch einen Zeugen unmöglich zu machen.

* “Von ungefähr aber ging ein gewisser Priester jenen Weg hinab; und als er ihn sah, ging er an der entgegengesetzten Seite vorüber.“Lukas 10, 31 – Auch der Priester wird von dem Herrn Jesus Christus nicht weiter beschrieben. Es wird uns nur geschildert, dass dieser – ob zufällig oder geplant muss dahin gestellt bleiben – sich ebenfalls auf den Weg nach Jericho begibt und in diesem Zusammenhang auf das schwerverletzte Opfer trifft. Doch anstatt diesem Menschen zu Hilfe zu eilen, wechselt der Priester “die Straßenseite“, drückt sich also an dem Schwerverletzten und damit auch an seiner mitmenschlichen Verantwortung vorbei. Es ist von Kommentatoren angemerkt worden, dass dieser Priester wohl dachte, dass der Verletzte bereits verstorben war und er den Kontakt vermied, weil er sich kultisch nicht durch die Berührung mit einem Toten verunreinigen wollte (vgl. 3. Mose 21, 1 – 24). Doch sein Handeln wird durch den Herrn Jesus Christus in keiner Weise entschuldigt. Er berichtet ganz einfach von der lieblosen Verhaltensweise dieses Priesters. Wenn es um die Rettung eines Menschenlebens geht, dann gibt es keinen Grund, der uns davon abhalten darf.  Es gibt nichts, was ein so liebloses Verhalten rechtfertigen könnte. Sollte nicht gerade ein so gelehrter, in der Torah unterwiesener Mann wie dieser Priester  wissen, wie man in einer solchen Situation richtig handelte? Kam dieser Mann nicht gerade aus Jerusalem, wo er seinen Priesterdienst versehen hatte und über einen längeren Zeitraum im Tempel, dem geistlichen Zentrum der Anbetung Gottes, einem besonderen geistlichen Einfluss ausgesetzt war? Augenscheinlich hatten weder sein geistlich-theoretisches Wissen noch die rituelle Praxis der Anbetung  sein Herz zu ändern vermocht.  

* “Ebenso aber auch ein Levit, der an den Ort gelangte: Er kam und sah ihn und ging an der entgegengesetzten Seite vorüber.“ Lukas 10, 32 – Nach dem Priester kommt auch ein Levit des Weges und handelt genauso wie der Priester vor ihm. Wir können uns die Leviten wie Assistenten der Priester im Tempeldienst vorstellen. Sie gingen den Priestern bei weniger wichtigen kultischen Handlungen zur Hand. Auch im Zusammenhang mit dem Verhalten des Leviten haben Kommentatoren auf die Vermeidung kultischer Unreinheit verwiesen (vgl. 4. Mose 19, 11). Doch auch bzgl. des Leviten gibt  der Herr Jesus Christus keinen Grund für sein Handeln an. Damit tritt auch hier das lieblose, hartherzige Verhalten in den Vordergrund. 

* “Aber ein gewisser Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm hin; und als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt; und er trat hinzu und verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn. Und am folgenden Tag zog er zwei Denare heraus und gab sie dem Wirt und sprach: Trage Sorge für ihn; und was irgend du noch dazu verwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.“Lukas 10, 33 – 35 – Der Samariter war von allen drei Reisenden derjenige, von dem man am wenigsten erwartet hätte, dass er dem Verwundeten zur Hilfe eilen würde.
Bereits in Lukas 9, 51 – 53 erfahren wir von dem angespannten Verhältnis, das zwischen Juden und Samaritern bestand. Nach der Eroberung des Nordreiches Israel mit seiner Hauptstadt Samaria, deportierten die Assyrer 722 v. Chr. zahlreiche Israeliten. Im Gegenzug siedelten sie jedoch auch  Menschen aus ihrem Reich im Nordreich Israel an. Die dort noch verbliebenen Juden vermischten sich mit den assyrischen Einwanderern und so entstand das Mischvolk der Samaritaner (vgl. 2. Könige 17, 24 ff.)  Dieses Mischvolk pflegte in der Folgezeit auch eine Mischreligion. Entgegen den klaren Anweisungen der Thora bauten sie auf dem Berg Garizim einen Tempel und richteten dort einen eigenen Tempelkult ein. Neben dem wahren Gott nahmen sie offensichtlich auch die Verehrung anderer Götter auf. Dieser Abfall von dem lebendigen Gott und die Verehrung fremder Götzen machte sie für die Juden des Südreiches kultisch unrein.
Im griechischen Text ist das erste Wort des 33. Verses “Samariter“. Indem der Herr Jesus Christus den Samariter bewusst an diese Stelle setzt, betont er den großen Unterschied zwischen diesem Mann und den beiden anderen Reisenden. Seine Barmherzigkeit überwand seine religiösen Vorurteile, die er als Samariter gegenüber Juden hatte. Der Herr Jesus Christus betont, dass dieser Mann “innerlich bewegt“ wurde und dann entsprechend handelte. Mehr sagt der Herr in diesem Zusammenhang auch nicht. Das reicht aus, um den großen Unterschied zwischen der Barmherzigkeit des Samariters und der Herzlosigkeit des Priesters und des Leviten zu offenbaren.
Öl wurde benutzt, um verkrustete Wunden geschmeidiger zu machen und um sie anschließend mit Wein zu desinfizieren. Die Barmherzigkeit wird auch besonders dadurch deutlich, dass dieser Mann nicht nur willig war, um seines Nächsten Willen Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen (sein ganzer Reisezeitplan kam durch diesen unerwarteten Zwischenstopp durcheinander, er selbst musste zu Fuß gehen), nein, er war darüber hinaus auch zu einem großzügigen Opfer für seinen Nächsten bereit: Er bringt den Mann in einer Herberge unter, kommt für seine Kost und Logis auf und  wird zu zum Bürgen für seine zukünftige Versorgung. Von 1/12 eines Denars konnte man damals einen Tag leben. Indem der Samariter dem Wirt zwei Denare gab, bezahlte er 24 Tage im Voraus, also fast einen ganzen Monat. Offensichtlich wollte er sicher gehen, dass der schwer geschundene Mann sich auch wirklich erholen konnte. Einige Kommentatoren verweisen in diesem Zusammenhang auf den Bericht in 2. Chronika 28, 8 – 15, wo uns von einem ähnlichen Verhalten berichtet wird, das die Israeliten einer Gruppe von Gefangenen auf das Wort des Propheten Oded hin angedeihen ließen. Es ist durchaus möglich, dass dies Geschehen den Samariter zu seinem Verhalten inspirierte.

* “Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen von dem, der unter die Räuber gefallen war?“Lukas 10, 36 – An die kurze Schilderung des Geschehens schließt der Herr Jesus Christus nun eine direkte Frage an den Schriftgelehrten an, durch den die praktische Anwendung des Gesagten deutlich wird: Wer ist der Nächste des armen Verwundeten gewesen?  Ist Ihnen etwas aufgefallen? Der Herr hat damit die Ausgangsfrage des Schriftgelehrten einfach umgedreht! Der Schriftgelehrte hatte gefragt: “Wer ist mein Nächster?“ Der Herr aber zeigte ihm, wem er der Nächste sein konnte! Es geht nicht darum zu fragen, wer meiner Barmherzigkeit würdig ist, sondern wem ich mich würdig erweisen kann, indem ich ihm/ihr diene!  Der Priester und der Levit hatten den Verwundeten buchstäblich “links liegen gelassen“, wahrscheinlich um ihre kultische Reinheit nicht zu gefährden. Der Samaritaner überwand mittels der Liebe seine Vorurteile.

* “Er aber sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin und tu du ebenso.“Lukas 10, 37 – Die Antwort auf die Frage des Herrn war einfach, weil offensichtlich. Und der Schriftgelehrte scheint den Sinn dieses Gleichnisses verstanden zu haben, denn er bezeichnet nicht den Samariter als den wahren Nächsten des “gewissen Menschen“, sondern “den, der die Barmherzigkeit an ihm tat“.  Das ist das Prinzip, um das es in diesem Gleichnis geht. Als Nächster erweist sich der Menschen, der Barmherzigkeit übt. Religiöse oder nationale Erwägungen sind dabei völlig fehl am Platz. Da der Schriftgelehrte nun erkannt hat, worum es geht, wird er von unserem Herrn dann auch aufgefordert umgehend damit zu beginnen, dem Beispiel des Samariters zu folgen.  Wenn er jeden mit solchem Mitgefühl und solcher Barmherzigkeit begegnen würde, dann würde er liebevoller Nächster sein und auf diese Weise auch das göttliche Gebot der Nächstenliebe (3. Mose 19, 18) erfüllen. Wirkliche Nächstenliebe zeigt sich also primär in unseren Handlungen, nicht in unseren Worten (vgl. Jakobus 2, 15 – 16; 1. Johannes 3, 17 – 18). Was im Zusammenhang mit dem Gleichnis allerdings nicht angesprochen wird, ist die Tatsache, dass ein solches Verhalten rein menschlich unmöglich ist. Unsere alte, fleischliche Natur steht dem diametral entgegen. Was wir brauchen ist eine vollkommene Runderneuerung und diese bietet uns Gott durch seinen Sohn Jesus Christus an (2. Korinther 5, 17; Galater 2, 20; Römer 5, 5).

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