
Innenhof der russischen Schule in Bethanien * Foto: By Владимир Шелгунов (фотографии переданы представителем ИППО) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons
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Der Wortverkündigung am Mittwoch dieser Woche liegen Verse aus dem 10. Kapitel des Lukasevangeliums (zum Hintergrund des Lukasevangeliums siehe: Klick! und Klick!) zugrunde. Wie immer betrachten wir diese Verse in ihrem Kontext:
“Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf; eine gewisse Frau aber, mit Namen Martha, nahm ihn [in ihr Haus] auf.
Und diese hatte eine Schwester, genannt Maria, die sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Wort zuhörte. Martha aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr nun, dass sie mir helfen soll. Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Martha, Martha! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eins aber ist nötig. Denn Maria hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird.„(Lukas 10, 38 – 42 ELBEDHÜ; z. Vgl. LUTH’84)
Der große Zusammenhang von Lukas 10, 25 – Lukas 11, 13
Unser heutiger Predigttext ist Teil eines größeren Abschnittes (Kapitel 10, 25 – Kapitel 11, 13) des Lukasevangeliums, in dem es immer wieder um ein einziges Thema geht – Beziehungen: In Lukas 10, 25 – 37 geht es um die Beziehung, die die Jünger Jesu zu ihren Nächsten, ihren Mitmenschen, haben. Der Herr Jesus Christus belehrt sie und uns durch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter dahingehend, dass jeder Mensch – unabhängig von seiner Herkunft, Religion oder seiner sozialen Stellung – unser Nächster ist. Gott erwartet von uns, dass wir uns diesem Nächsten helfend zuwenden, wenn er/sie unsere Hilfe braucht. Daran anschließend berichtet uns der Evangelist von den Ereignissen im Haus von Martha und Maria (Lukas 10, 38 – 42). Welche Art der Beziehung hier im Vordergrund steht, soll Gegenstand der nachfolgenden Anmerkungen sein. An die heute zu betrachteten Bibelworte schließt sich in Lukas 11, 1 – 13 zuerst das so genannte “Vaterunser“ (“Unser Vater“) und das Gleichnis des Herrn Jesus Christus von dem bittenden Freund an. Durch dieses Gleichnis macht der Herr Seinen Jüngern deutlich, dass Er ihnen mit dem vorgenannten Gebet nicht nur eine allgemeine Belehrung über Gebet oder ein rituelles, zu wiederholendes Gebet geben wollte, sondern, dass Er sie damit über ihre Beziehung zu Gott, ihrem himmlischen Vater, belehren will. Wenn es also in dem Abschnitt vor und in dem Abschnitt nach den von uns zu betrachtenden Versen um die Beziehungen der Jünger geht, dann sollten wir auch Lukas 10, 38 – 42 unter diesem Vorzeichen betrachten.
Anmerkungen zu Lukas 10, 38 – 42
* “Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf; eine gewisse Frau aber, mit Namen Martha, nahm ihn [in ihr Haus] auf.“ – Lukas 10, 38 – In den folgenden Versen finden wir ein weiteres Beispiel dafür, wie positiv Lukas durch sein ganzes Evangelium hindurch Frauen porträtiert, die zum Glauben an Jesus Christus kamen und Seine Jüngerinnen wurden (vgl. Lukas 8, 1 – 3; Lukas 23, 49; Lukas 23, 55; Lukas 24, 22 + 24). Es ist sehr lohnend, dieses Evangelium einmal unter diesem Gesichtspunkt zu untersuchen. Wer das tut, wird feststellen, dass sich die atheistische Behauptung, das Neue Testament sei ein frauenfeindliches Buch, schon durch dieses eine Evangelium leicht widerlegen lässt.
Lukas betont, dass “sie (…) weiterzogen“ und auch wenn der Evangelist anschließend von “er“ bzw. “ihm“ spricht, sind hier der Herr Jesus Christus und Seine Jünger gemeint. Lukas verdeutlicht mit diesen wenigen Worten, dass der Herr Jesus Christus beständig Seinen Weg nach Jerusalem und damit zum Kreuz fortsetzte (vgl. Lukas 9, 5 + 56 – 57; Lukas 13, 22; Lukas 17, 11; Lukas 18, 31 + 35; Lukas 19, 1 + 11). Auch wenn es auf diesem Weg immer wieder ein Innehalten, die Reise unterbrechende Begegnungen oder etwas längere Aufenthalte an bestimmten Orten gab, so verlor der Herr Jesus Christus das Ziel Seines ersten Kommens für diese Welt doch nie aus den Augen.
Zu einer dieser Reiseunterbrechungen kam es in Bethanien. Der Evangelist erwähnt den Namen des Ortes, der uns aus dem Johannesevangelium als Wohnort der Geschwister Martha, Maria und Lazarus bekannt ist (vgl. Johannes 11, 1), nicht. Sein Fokus liegt auf den Menschen, insbesondere auf den beiden Schwestern, denen der Herr Jesus Christus hier begegnen wollte.
Zuerst lernen wir Martha kennen. Es scheint, als sei sie die Älteste der drei Geschwister gewesen. Ob die Aussage “ihr Haus“ bedeutet, dass Martha die Besitzerin dieses Hauses war, wissen wir nicht. Offensichtlich aber konnte sie frei darüber verfügen und als der Herr mit Seinen Jüngern nach Bethanien kam, da zögerte sie nicht, Ihn und die große Gruppe Seiner Jünger gastfreundlich aufzunehmen. In den Orten um Jerusalem war dies zu Festzeiten durchaus üblich, da in diesen Zeiten die meisten Unterkünfte in der Stadt bereits vergeben waren. Die Offenheit und Gastfreundschaft der Martha steht in einem starken Kontrast zu der Ablehnung, die der Herr und Seine Jünger noch kurz zuvor bei den Samaritanern erleben mussten (vgl. Lukas 9, 53).
* “Und diese hatte eine Schwester, genannt Maria, die sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Wort zuhörte.“ – Lukas 10, 39 – Dann macht uns Lukas mit Maria, der Schwester der Hausherrin, bekannt. Während Martha ihr Haus für den Herrn Jesus Christus und Seine Jünger öffnet, geht Maria einen Schritt weiter. Sie öffnet ihre Ohren für das, was Er zu sagen hat, denn zuvor hatte sie bereits ihr Herz für Ihn geöffnet (vgl. auch Johannes 11, 32; Johannes 12, 3).
Die Wortwahl des Evangelisten in diesem Zusammenhang ist bemerkenswert. Lukas sagt, dass sich Maria “zu den Füßen Jesu niedersetzte“. Aus Apostelgeschichte 22, 3 geht hervor, dass mit diesen Worten eine Situation beschrieben wurde, in der ein Rabbiner Menschen belehrte (siehe auch Lukas 8, 35). Viele Kommentatoren weisen darauf hin, wie ungewöhnlich es war, dass ein Rabbiner Frauen belehrte. Lukas scheute sich jedoch nicht, diese Situation zu erwähnen. Er macht damit ein weiteres Mal klar, wie sehr sich das Frauenbild des Neuen Testaments von dem Frauenbild der diversen Kulturen des Altertums unterscheidet.
* “Martha aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr nun, dass sie mir helfen soll.“ – Lukas 10, 40 – Während sich Maria zu den Füßen Jesu niedersetzt, hören will, was Er zu sagen hat und damit auch zum Ausdruck bringt, dass sie Seine Autorität anerkennt, ist Martha mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt. In dieser sicherlich nicht einfachen Situation fühlt sie sich von ihrer Schwester im Stich gelassen. Also spricht sie den Herrn Jesus Christus an und gebietet Ihn quasi, ihre Schwester anzuweisen, ihr zu helfen. Sind wir uns bewusst, was hier geschieht? Ein menschliches Geschöpf gebietet dem Schöpfer dieses Universums (vgl. Kolosser 1, 16; Hebräer 1, 2!) etwas zu tun! Obwohl Martha die Anrede “Herr“ gebraucht, beachtet sie die damit verbundene Autorität Jesu in diesem Moment nicht.
* “Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Martha, Martha! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eins aber ist nötig. Denn Maria hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird.“ – Lukas 10, 41 – 42 – Zweimal spricht der Herr die vielbeschäftigte Schwester mit ihrem Namen an. Wir kennen dieses Prinzip aus anderen, in den Evangelien berichteten Situationen: Wann immer der Herr eine Sache besonders betonen oder die Aufmerksamkeit Seiner Zuhörer mit Nachdruck darauf lenken wollte, finden wir eine solche Doppelung. Auch Martha braucht augenscheinlich eine zweifache Ansprache, um sich der Bedeutung der Situation bewusst zu werden.
Beachten wir: Der Herr kritisiert nicht den Dienst der Martha. Gastfreundschaft – und das umfasst auch die gute Versorgung der Gäste, die wir aufnehmen – ist ein christliches Gebot und sollte ein ganz normaler Teil unseres Lebens sein (vgl. Hebräer 13, 2; 1. Petrus 4, 9; 3. Johannes 1, 5). Der Herr kritisiert vielmehr die Haltung, in der Martha diesen Dienst versieht: Sie war besorgt und beunruhigt! Sorgen entstehen aus Ängsten und wo Sorge und Angst herrschen ist Unruhe nicht weit. Die Wurzel dieser Probleme lag in den “vielen Dingen“, auf die Martha ihr Auge richtete. Denn dabei hatte sie den Herrn aus den Augen verloren. Sie wollte Ihn mit einem besonderen Mahl ehren, doch Er wollte dadurch geehrt werden, dass sie Sein Wort hörte. Im Gegensatz zu Maria, die sich zu den Füßen des Herrn setzte und darauf wartete, was Er zu sagen hatte, hatte Martha ihre eigenen Pläne, wie dieser Besuch des Herrn in ihrem Haus ablaufen sollte. Als sich die Dinge dann nicht ihrem Plan gemäß entwickelten, wurde sie beunruhigt, ärgerlich und fordernd. Oft sind diese Verse so ausgelegt worden, dass der Dienst für den Herrn zweitrangig und die Kontemplation, d.h. die Besinnung, viel wertvoller sei. Doch ich glaube nicht, dass der Herr Jesus Christus hier den Dienst für Ihn abwerten will. Denn an vielen anderen Stellen des Neuen Testaments wird deutlich, welchen Wert der Herr dem Dienst Seiner Jünger beimisst, welchen Wert er darauf legt, dass wir für Ihn tätig werden. Aber – und das ist für mich die klare Aussage dieser Verse – die Reihenfolge muss stimmen! Vor dem Handeln kommt das Hören! Nur wenn wir zuerst hören, was unser Herr von uns möchte, uns von Ihm ausrichten und belehren lassen, dann wird auch unser Handeln nach Seinem Willen sein und folglich auch unter Seinem Segen stehen.
Die Heilige Schrift gibt uns viele Beispiele, an denen uns Gott dieses Prinzip immer wieder vor Augen führt: Da ist der König Ahas, dem der Prophet Jesaja in einer politisch sehr angespannten, für Juda geradezu bedrohlichen Situation eine Botschaft Gottes überbringt. Gott sichert dem König zu, ihm ein Zeichen und damit auch eine Verheißung zu geben. Doch Ahas lehnt ab. Er hat bereits eigene Pläne gemacht, wie er sich und sein Land aus dieser bedrohlichen Lage befreien wollte. Welche schwerwiegenden Konsequenzen diese Ablehnung des göttlichen Eingreifens für sein Land hatte, können wir in Jesaja 7, 1 ff. nachlesen. Oder denken wir an König Saul, der in einer ähnlichen Situation selbstherrlich Opfer brachte, also etwas tat, das zu jener Zeit dem Propheten Samuel vorbehalten war. Als Folge davon musste der Prophet dem König Saul ankündigen, dass Gott sein Königtum von ihm genommen hatte und es keinen zukünftigen Bestand haben würde (vgl. 1. Samuel 13, 8 ff.). Und auch im Neuen Testament werden wir eindringlich vor “selbstgewähltem Gottesdienst“ (andere Übersetzungen sprechen auch von “selbstgewählter Frömmigkeit“) gewarnt. Auch Christen können dem Irrtum verfallen, dass das was sie wollen automatisch auch gut in Gottes Augen und Plänen zu sein hat. Ein Trugschluss, der ernste Konsequenzen nach sich ziehen muss.
Warum ist es dem Herrn Jesus Christus so wichtig, dass wir zuerst auf Ihn hören und Seinen Willen kennenlernen? Ist Er ein Despot, der uns gängeln und drangsalieren möchte? Nein, Ihm geht es darum, dass wir Seine Prioritäten anerkennen. Er ist “der Herr“. Obwohl Er sich auch sehr an dem erfreut, was wir für Ihn tun, wünscht Er sich doch vor allem, dass die Beziehung und die Gemeinschaft mit Ihm an erster Stelle in unserem Leben steht. Er möchte uns Seinen Willen und Plan offenbaren, uns leiten, bewahren und reich segnen. Das aber ist nicht möglich, wenn wir unabhängig von Ihm unsere eigenen, gut gemeinten Pläne verfolgen, Ihn aus den Augen verlieren und schließlich überlastet und frustriert sind. Martha meinte den Herrn mit einem großen Festmahl ehren zu müssen. Hätte sie doch nur einmal nach Seinem Willen gefragt. Ihm hätten sicherlich auch ein einfaches Fladenbrot und einige Fische gereicht, wenn sie dafür nur Zeit gehabt hätte, bei Ihm zu sein und Seinen Worten zuzuhören. Wie viel Frustration und Ärger wäre ihr erspart geblieben und wie viel Segen und Freude hätte sie gewinnen können! Maria hingegen hatte dieses “gute Teil“ erwählt, von dem uns bereits die Psalmen Zeugnis geben:
“Der HERR ist das Teil meines Erbes und meines Bechers; du erhältst mein Los.“
“Vergeht mein Fleisch und mein Herz, der Fels meines Herzens und mein Teil ist Gott auf ewig.“
“Zu dir habe ich geschrien, HERR! Ich habe gesagt: Du bist meine Zuflucht, mein Teil im Land der Lebendigen.“
Gott selbst, die Gemeinschaft mit Ihm, ist dieses “gute Teil“. Maria hatte erkannt, dass “der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“ (Matthäus 4, 4). Sie hatte auch realisiert, dass Gläubige ohne die enge Gemeinschaft mit dem Erlöser “nichts tun können“ (Johannes 15, 5) – auch wenn viele Gläubige das immer wieder versuchen und – wie bei Martha am Ende ihres Handelns nur Überlastung – besser bekannt unter dem Begriff “Burnout“ – und Frustration stehen. Hinter wie vielen Problemen, mit denen Christen zu kämpfen haben, mag die Vernachlässigung der persönlichen Zeit mit unserem Herrn und das Hören auf Sein Wort stehen?
In einer Zeit wie der unseren, in der wir durch unser Alltagsleben sehr gefordert werden, ist es umso wichtiger, dass wir die Beziehung zu unserem Erlöser und die tägliche Gemeinschaft mit Ihm durch das Lesen Seines Wortes und im Gebet zu unserer Priorität machen. Nur so werden wir Seine Leitung, Seine Bewahrung und Seinen Segen in unserem Leben erfahren. Und nur so werden wir unseren Alltag in der Kraft Gottes meistern können, denn “die auf den HERRN harren, gewinnen neue Kraft: Sie heben die Schwingen empor wie die Adler; sie laufen und ermatten nicht, sie gehen und ermüden nicht.“ (Jesaja 40, 31). Martha kann uns in diesem Zusammenhang ein Vorbild sein. Martha? Ja, Martha! Denn ihre Geschichte endet nicht hier in Lukas 10. Wir begegnen ihr noch zweimal im Johannesevangelium. In Johannes 11, 21 erleben wir sie im Zusammenhang mit der Auferweckung des Lazarus. Zu diesem Zeitpunkt hat sie die Größe und Macht des Herrn Jesus Christus noch nicht ganz erkannt. Dann finden wir sie jedoch erneut in Johannes 12, 1 – 2. Dort wird uns berichtet, dass der Herr wieder im Haus der Martha eingekehrt war. Auch Seine Jünger waren bei Ihm. An der Größe der zu bewirtenden Gästegruppe hatte sich also nichts geändert. Aber das Leben der Martha hat eine Veränderung erfahren. Wir lesen dort, dass dem Herrn und Seinen Jüngern wieder ein Gastmahl bereitet wird und Martha Ihm diente. Doch von Sorge, Unruhe, Überlastung und Frustration ist dort kein Wort zu finden. Martha hatte verstanden, was der Wille des Herrn war. Verstehen wir ihn/Ihn auch?