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„Daniels Antwort an den König“ von Briton Rivière, R.A. (1840-1920), 1890 (Manchester City Art Gallery) [Public domain], via Wikimedia Commons (http://commons.wikimedia.org/wiki/Template:PD-1923).
Zum Hintergrund: Das Buch Daniel
Im Jahr 605 v. Chr. schlug Nebukadnezar II.¹ als Heerführer der Armee seines Vaters, des babylonischen Königs Nabopolassar, die vereinigten Streitkräfte der Assyrer und Ägypter nahe der Stadt Karkemisch. Die Stadt, die zum Einflussgebiet zweier Völker – der Hethiter und der Mittani – gehörte, liegt heute auf türkischem Gebiet unmittelbar an der Grenze zu Syrien und trägt den türkischen Namen “Karkemiš“. Mit seinem Sieg über die Assyrer und Ägypter sicherte Nebukadnezar II. für Jahrzehnte die babylonische Vorherrschaft über den gesamten damaligen Nahen Osten. Für die Vasallenstaaten der Assyrer und Ägypter war die Schlacht bei Karkemisch ebenfalls ein historischer Wendepunkt, denn auch sie mussten sich nun genauso der Macht Babylons unterwerfen wie jene Staaten, von denen sie bisher abhängig gewesen waren.
Das Südreich Juda, aus den beiden Stämmen Juda und Benjamin bestehend und bisher ein Vasallenstaat Ägyptens, geriet so ebenfalls unter die Herrschaft der Babylonier. (Das 10-Stämme- bzw. Nordreich Israel war bereits 722/721 v. Chr. von den Assyrern besiegt und ein großer Teil seiner Bevölkerung in die Gefangenschaft nach Assur und in weitere nordmesopotamische Städte deportiert worden [2. Könige 17, 6]).
Noch im selben Jahr, kurze Zeit nach dem Sieg von Karkemisch, starb Nabopolassar und Nebukadnezar II. folgte ihm als König des babylonischen Großreiches. Schon bald nach seiner Thronbesteigung führte er die babylonischen Truppen gegen das Südreich Juda und eroberte es. Viele hochrangige Judäer wurden als Gefangene nach Babylon deportiert (Daniel 1, 1 – 3). Unter ihnen war auch Daniel mit seinen Freunden (Daniel 1, 1 – 2; 2. Könige 24, 1; 2. Chronika 36, 6 – 7). Damit erfüllte sich die Weissagung des Propheten Jesaja, in der dieser dem König Hiskia angekündigt hatte, dass seine Nachkommen dem König von Babylon Untertan werden würden (Jesaja 39, 5 – 7). Bei dieser ersten Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. entwendeten die babylonischen Truppen auch einige der heiligen Gefäße aus dem salomonischen Tempel. Auf diese erste Eroberung und Wegführung sollten noch zwei weitere folgen. Der zu dieser Zeit in Juda herrschende König war Jojakim (2. Könige 24, 1 – 4). Sein Sohn Jojakin (der in den biblischen Berichten auch unter den Namen Jojachin, Jechonja oder unter der Kurzform Konja bekannt ist) folgte ihm im Jahr 598 v. Chr. auf dem Thron. Doch ihm war nur eine Regierungszeit von drei Monaten und zehn Tagen beschieden (2. Chronika 36, 9).
Dann brach Nebukadnezar II. erneut mit der babylonischen Armee in Juda ein und zum Jahreswechsel 597 v. Chr. wurde Jojakin gemeinsam mit der überwiegenden Anzahl der führenden Judäer und den restlichen Schätzen des Landes, einschließlich der heiligen Gefäße des Tempels, nach Babylon gebracht. Unter den Weggeführten war diesmal auch der junge Prophet Hesekiel (2. Könige 24, 10 – 17; 2. Chronika 36, 10). Aus Hesekiel 14, 14 + 20 und Hesekiel 28, 3 wird deutlich, dass Hesekiel und Daniel miteinander bekannt waren.
Die dritte und letzte kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Babyloniern und dem Südreich Juda und die damit verbundene dritte Deportation fand ca. 11 Jahre später, im Jahr 586 v. Chr., statt. Zu dieser Zeit herrschte Mattanja über das Land. Er war ein jüngerer Bruder Jojakims und dadurch Onkel seines Vorgängers Jojakin (2. Könige 24, 17 – 2. Könige 25, 7). Nebukadnezar hatte ihm den Namen “Zedekia“ gegeben, unter welchem er auch in den biblischen Berichten erwähnt wird. Im elften Jahr seiner Regentschaft lehnte sich Zedekia gegen die babylonische Herrschaft auf und schloss ein geheimes Abkommen mit dem ägyptischen Pharao Hophra (Jeremia 37 — 38). Als Reaktion auf diesen Treuebruch (vgl. 2. Chronik 36, 13; Hesekiel 17, 13 ff.) belagerten die babylonischen Armeen 18 Monate lang Jerusalem, bis die Stadt dann endgültig in ihre Hände fiel. Nebukadnezar II. wollte an der Stadt ein warnendes Exempel für die anderen Vasallenstaaten Babylons statuieren und ließ den Tempel niederbrennen, die Stadtmauern einreißen und alle restlichen Bewohner, außer den allerärmsten, als Gefangene nach Babylon deportieren. Auch Zedekia musste nach Babylon in die Gefangenschaft gehen. Zuvor jedoch ließ Nebukadnezar II. die Söhne Zedekias vor den Augen ihres Vaters töten, um diesen anschließend blenden zu lassen (2. Könige 24, 18 — 2. Könige 25, 24). Das Letzte, was Zedekia in seinem Leben sah, war der grausame Tod seiner Söhne.
Es sind diese Umstände, die auch den jungen Daniel im Alter von 15 bis 20 Jahren zusammen mit seinen Freunden nach Babylon führen. Das Leben in dieser Stadt, die mit ihrem Götzendienst der totale Gegenentwurf zur Herrschaft Gottes und Seinen Geboten war, wurde für ihn und seine Freunde zu einer ständigen geistlichen Auseinandersetzung, in der er nur durch die Gnade Gottes bestehen konnte. Diese Gnade Gottes war es auch, die Daniel die Kraft verlieh, fast 70 Jahre lang (bis ca. 538 v. Chr., vgl. Daniel 1, 21) seinen Dienst in dieser antigöttlichen Umgebung zu versehen.
In dieser langen Zeit, die fast die gesamte Zeit der babylonischen Gefangenschaft umfasst, sah Daniel eine ganze Reihe von babylonischen Königen kommen und gehen. Auf Nebukadnezar II. folgt dessen Sohn Amel-Marduk. Dieser regierte jedoch nur für die kurze Zeit von 561 – 560 v. Chr. Auf ihn folgte ein Schwiegersohn Nebukadnezars II., Nergal-šarra-usur. Er regierte von 559 – 556 v. Chr. Ihm folgte sein Sohn Lā-abāši-Marduk, dessen Herrschaft noch im Jahr seiner Thronbesteigung (556 v. Chr.) durch einen Mordanschlag beendet wurde. Mit dem auf ihn folgenden Nabonid begann dann wieder eine Phase von dauerhafter Regentschaft und damit auch politischer Stabilität im babylonischen Reich. Er herrschte von 555 v. Chr. bis 539 v. Chr. In der Zeit von ca. 552 v. Chr. bis 542 v. Chr. setzte Nabonid seinen Sohn Bel-šarru-usur, den uns aus der Bibel bekannten Belsazar, als seinen Stellvertreter ein und zog es vor, außerhalb von Babylon an verschiedenen Orten auf der arabischen Halbinsel zu residieren.
539 v. Chr. beendet die Einnahme der Hauptstadt Babylon durch den persischen König Kyros II. nicht nur die Dynastie Nabonids, sondern auch das babylonische Reich, das nun von dem neu errichteten medo-persischen Großreich abgelöst wurde.
Das Buch Daniel erwähnt aus dieser Abfolge von Herrschern Nebukadnezar II., unter dem Daniel als “Gebieter über die ganze Provinz Babel und als oberster Präfekt aller Weisen von Babel“ (Daniel 2, 48) diente. Die auf Nebukadnezar II. folgenden, nur kurze Zeit regierenden Könige werden im Buch des Propheten übergangen und erst Belsazar findet wieder Erwähnung (Daniel 5, 1 – 25). Wenn Belsazar im Buch Daniel als “Sohn des Nebukadnezar“ bezeichnet wird, dann in dem Sinn eines “männlichen Nachfahren“, nicht im Sinn einer direkten Vater-Sohn-Abstammung. Nachdem der persische Großkönig Kyros II., der an drei Stellen des Buches Daniel erwähnt wird (Daniel 1, 21; Daniel 6, 28 und Daniel 10, 1) das babylonische Reich eingenommen hatte, nahm er nicht sofort den Titel “König von Babylon“ an, sondern setzte als seinen Vertreter Darius den Meder ein (Daniel 6, 1 + 29; Daniel 9, 1). Unter diesem wurde Daniel in sehr hohem Alter zu einem der drei Aufseher der 120 Satrapen, d.h. der Statthalter des Reiches, ernannt (Daniel 6, 2 – 3).
Aufteilung und Inhaltsübersicht des Buches Daniel
Man kann das Buch des Propheten Daniel auf zweierlei Weise einteilen. So kann man z.B. grob zwischen den zwei großen Themenschwerpunkten des Buches unterscheiden:
- I. Die Kapitel 1 – 6 des Buches Daniel beschreiben das Leben Daniels
- II. In Kapitel 7 – 12 des Buches Daniel finden wir die Aufzeichnung der Weissagungen des Propheten
Ich möchte aber auch eine detailliertere Aufteilung des Buches vorstellen, nach der man sich wie folgt eine Übersicht über dessen Inhalt verschaffen kann:
Ein erster großer Block (Daniel 1, 1 – 21) gibt uns einen Überblick über das Leben und den Charakter des Propheten: In Daniel 1, 1 – 2 wird uns der historische Hintergrund kurz dargestellt. Daniel 1, 3 – 7 schildert das Trainingsprogramm, das Daniel und seine Freunde am Hof des Königs von Babylon durchlaufen mussten. Daniel 1, 8 – 13 berichtet uns von der Entscheidung Daniels, entgegen aller Gefahren treu Gottes Gebote halten zu wollen. In Daniel 1, 14 – 16 erfahren wir von dem Erfolg, den Gott Daniel daraufhin schenkt. Dieser Abschnitt schließt mit der Schilderung des Segens Gottes, der auf Daniel und seinen Freunden ruhte (Daniel 1, 17 – 21).
Ein zweiter großer Block umfasst die Schilderung der “Zeiten der Nationen“, wie wir sie in den Kapiteln 2 – 7 finden. Diesen Block können wir in sechs größere Abschnitte unterteilen:
Abschnitt 1 berichtet vom Traum des Königs Nebukadnezar II. (Daniel 2, 1 – 3), seinem Versuch, von den Weisen Babylons eine Deutung dieses Traumes zu erfahren (Daniel 2, 4 – 13), dem Auftreten Daniels vor dem König (Daniel 2, 14 – 16), Daniels Empfang der Offenbarung und sein Dankgebet an Gott (Daniel 2, 17 – 23), Daniels Auftreten vor Nebukadnezar II. (Daniel 2, 24 – 30), die Schilderung des Traumes durch den Propheten (Daniel 2, 31 – 35), die Deutung des Traumes (Daniel 2, 36 – 45) und Nebukadnezars Reaktion auf die prophetische Deutung (Daniel 2, 46 – 49).
Abschnitt 2 schildert das Geschehen um die goldene Statue, die Nebukadnezar II. von sich aufstellen ließ (Daniel 3, 1 – 30). Wir erfahren von dem Befehl des Königs, der alle Untertanen verpflichtete, dieses Standbild anzubeten (Daniel 3, 1 – 7), von der Standhaftigkeit der drei Freunde Daniels gegen diesen Götzendienst (Daniel 3, 8 – 12), ihrer Verteidigungsrede (Daniel 3, 13 – 18), ihrer Verurteilung zum Tod im Feuerofen (Daniel 3, 19 – 23), ihrer Bewahrung durch Gott (Daniel 3, 24 – 27) und von Nebukadnezars Reaktion auf die Bewahrung der gottesfürchtigen Israeliten (Daniel 3, 28 – 30).
Im dritten Abschnitt (Daniel 4, 1 – 37) wird uns von der Demütigung Nebukadnezars durch Gott berichtet. In Daniel 4, 1 – 3 findet sich die Anbetung Gottes durch Nebukadnezar. Danach folgt die Schilderung der Gedanken des Königs über einen zweiten Traum, den er hatte (Daniel 4, 4 – 9) und die Schilderung des Traumes selbst (Daniel 4, 10 – 18). Wir erfahren dann von der Deutung dieses zweiten Traums durch den Propheten (Daniel 4, 19 – 27) und ihrer Erfüllung (Daniel 4, 28 – 33). Anschließend wird die Wiederherstellung Nebukadnezars in seine Königswürde beschrieben (Daniel 4, 34 – 37).
Abschnitt 4 (Daniel 5, 1 – 31) befasst sich mit den Geschehnissen um das Festmahl des Belsazar. In Daniel 5, 1 – 4 wird davon berichtet, wie Belsazar dem allmächtigen Gott lästert und wie Gott darauf reagiert (Daniel 5, 5 – 9). Wir erfahren, wie Belsazar vor dieser Offenbarung erschreckt, die Königin herbeirufen lässt und welchen Rat sie ihm erteilt (Daniel 5, 10 – 12). Weiter erfahren wir, wie Belsazar den Propheten rufen lässt (Daniel 5, 13 – 16), wie dieser Belsazar zurecht weist (Daniel 5, 17 – 24) und dann die Deutung der Schrift an der Wand gibt (Daniel 5, 25 – 28). Das Kapitel schließt mit der Schilderung der Ehrerbietung, die Belsazar Daniel gegenüber zeigt, der Einnahme Babylons durch die medo-persische Streitmacht als Erfüllung der Offenbarung Gottes an Belsazar und dessen Tod (Daniel 5, 29 – 31).
Abschnitt 5 (Daniel 6, 1 – 28) berichtet von der Überheblichkeit des neuen Herrschers über Babylon, dem Meder Darius, und von der Bewahrung Daniels in der Löwengrube. Daniel 6, 1 – 3 schildert den Aufstieg Daniels unter den neuen medo-persischen Herrschern und aus Daniel 6, 4 – 9 erfahren wir von der Gegnerschaft, die sich bereits zu diesem Zeitpunkt gegen Daniel formiert. Daniels Treue gegenüber Gott und das Versprechen des Königs Darius werden uns in Daniel 6, 10 – 15 mitgeteilt. Danach folgt der Bericht über Daniels Zeit in der Löwengrube (Daniel 6, 16 – 18), seine Befreiung und das königliche Gericht über Daniels Feinde (Daniel 6, 19 – 24). Das Kapitel schließt mit der Wiedergabe einer Anordnung des Königs Darius und dessen Lobpreis über Jahwe, den einzig wahren Gott (Daniel 6, 25 – 28).
Der sechste und letzte Abschnitt dieses Blocks enthält die Visionen Daniels über die Zukunft der Weltreiche (Daniel 7, 1 – 28). In Daniel 7, 1 – 8 wird die Zukunft der großen Reiche (1) Babylon, (2) Medo-Persien, (3) Griechenland und (4) des römischen Imperiums in einem Bild von vier wilden Tieren [(1) einem Löwen mit Adlersflügeln, (2) einem Bären, (3) einem Leoparden und (4) einem schrecklichen Tier mit zehn Hörnern] dargestellt. Diese Vision entspricht der Deutung des ersten Traumes Nebukadnezars von dem großen Standbild mit (1) einem Haupt von Gold, (2) einer Brust und Armen von Silber, (3) einem Bauch und Lenden von Erz/Bronze und (4) Schenkeln von Eisen und Füßen, teils aus Eisen und teils aus Ton. Daran anschließend schildert Daniel 7, 9 – 12 das Gericht Gottes (“eines Hochbetagten“) über das vierte Tier und seine Zerstörung. Daniel 7, 13 – 14 berichtet dann von der Aufrichtung des Reiches Gottes. Daniel 7, 15 – 18 gibt die Deutung der vier Tiere wieder. Aus Daniel 7, 19 – 22 erfahren wir, dass der Prophet um mehr Aufschluss über das vierte Tier bittet. Gemäß Daniel 7, 23 – 25 wird ihm diese Bitte auch gewährt. Das Kapitel schließt mit der Schilderung über das Ende des vierten Tieres und der Errichtung von Gottes ewigem Reich (Daniel 7, 26 – 28).
Ein dritter und letzter großer Block umfasst die Kapitel Daniel 8 – 12, in denen uns in Form prophetischer Visionen Gottes Plan für Israels Zukunft dargelegt wird. Wir können diesen dritten großen Block in drei Abschnitte aufteilen:
Abschnitt 1 (Daniel 8, 1 – 27) kündigt im Bild eines Widders und eines Ziegenbockes einen Konflikt zwischen Persien und Griechenland an. Daniel 8, 1 berichtet über die Umstände, unter denen Daniel diese Vision empfing und über den Zeitpunkt des Empfangs. Danach folgt die Beschreibung des Widders (Daniel 8, 2 – 4), des Ziegenbocks (Daniel 8, 5 – 8) und des “kleinen Horns“, das aus dem Ziegenbock erwächst (Daniel 8, 9 – 14). Es folgt die Deutung der Vision (Daniel 8, 15 – 26) und die Schilderung der Auswirkungen, die die Vision auf den Propheten hatte.
Abschnitt 2 (Daniel 9, 1 – 27) berichtet uns von Daniels prophetischer Vision über die 70 Jahrwochen. Aus Daniel 9, 1 – 3 erfahren wir, dass Daniel die Schriften des Propheten Jeremia untersuchte und zwar insbesondere bzgl. dessen prophetischer Aussagen über die Wiederherstellung Jerusalems nach dem Exil in Babylon. In Daniel 9, 4 – 19 finden wir das (Buß-)Gebet Daniels für die Wiederherstellung des Volkes in dem ihm von Gott gegebenen Land und in Daniel 9, 20 – 23 wird uns von der Reaktion Gottes auf dieses Gebet berichtet. In Daniel 9, 24 – 27 findet sich dann die Offenbarung Gottes über die Zukunft Israels, die im Zusammenhang mit den 70 Jahrwochen erläutert wird.
Abschnitt 3 (Daniel 10, 1 – Daniel 12, 13) umfasst die detaillierteste Vision des Propheten bzgl. der Zukunft seines Volkes. Daniel 10, 1 – Daniel 11, 1 beschreibt die Vorbereitung des Propheten, sowie den Zeitpunkt und den Ort, zu bzw. an dem Daniel diese Vision empfing. Daniel 11, 2 – 35 enthält prophetische Aussagen über die “nahe Zukunft“. Sie betreffen die Perser (Daniel 11, 1 – 2), die Griechen unter Alexander dem Großen und die Herrschaft der Diadochen nach ihm (Daniel 11, 3 – 4), die Reiche Ägypten und Syrien (Daniel 11, 5 – 20), sowie über den Seleukidenherrscher Antiochus IV. Epiphanes (Daniel 11, 21 – 35). Daniel 11, 36 – 45 enthält prophetische Aussagen über die “ferne Zukunft“ und zwar über den Antichristen (Daniel 11, 36 – 39) und den “König des Nordens“ (Daniel 11, 40 – 45). Im zwölften und letzten Kapitel des Buches Daniel finden sich abschließende Aussagen Gottes über die Zeit, in der Israels Bedrängnisse ein Ende finden werden (Daniel 12, 1 – 13).
Empfangsbereit für Gottes Weisheit (Daniel 12, 10)
Das Textwort für den heutigen Mittwoch ist dem 12. Kapitel des Propheten Daniel entnommen, also jenem Teil des Buches, in welchem wir letzte Aussagen Gottes über jene Zeit finden, in der Israels vollkommene Wiederherstellung als Gottes irdisches Volk kurz bevorsteht. Daniel 12, 10 ist Teil eines Frage-und-Antwort-Gespräches zwischen dem Propheten und dem “Sohn des Menschen“. Darum wollen wir diesen Vers auch im Zusammenhang lesen:
“Und einer sprach zu dem Mann in leinenen Kleidern, welcher oberhalb der Wasser des Flusses stand: Wie lange werden diese unerhörten Zustände dauern? Da hörte ich den in Linnen gekleideten Mann, der oberhalb der Wasser des Flusses war, wie er seine Rechte und seine Linke zum Himmel erhob und schwur bei dem, der ewig lebt: «Eine Frist, zwei Fristen und eine halbe; und wenn die Zersplitterung der Macht des heiligen Volkes vollendet ist, so wird das alles zu Ende gehen!» Das hörte ich, verstand es aber nicht. Darum fragte ich: Mein Herr, was wird das Ende sein von diesen Dingen? Er sprach: Gehe hin, Daniel! Denn diese Worte sind verborgen und versiegelt bis auf die letzte Zeit. Viele sollen gesichtet, gereinigt und geläutert werden; und die Gottlosen werden gottlos bleiben, und kein Gottloser wird es merken; aber die Verständigen werden es merken. Und von der Zeit an, da das beständige Opfer beseitigt und der Greuel der Verwüstung aufgestellt wird, sind 1290 Tage. Wohl dem, der ausharrt und 1335 Tage erreicht! Du aber gehe hin, bis das Ende kommt! Du darfst nun ruhen und sollst dereinst auferstehen zu deinem Erbteil am Ende der Tage.“
Einer der Engel spricht zu dem “Mann in leinenen Kleidern“ und fragt ihn, wie lange die Geschehnisse bzgl. der Bedrängnis und endgültigen Befreiung Israels in den letzten Tagen dauern werden.
Bei diesem “Mann in leinenen Kleidern“ handelt es sich um jene Person, die Daniel bereits ab Kapitel 10, 1 Gottes Offenbarungen überbracht hat. Vergleicht man die Schilderung dieses “Mannes“ mit denen über jene Person, die der Prophet Hesekiel und der Apostel Johannes sahen, so wird deutlich, dass es sich hier um niemand anderen als den Sohn Gottes handelt, der Daniel erscheint (vgl. Hesekiel 1, 26 – 28; Offenbarung 1, 13 – 16; Offenbarung 2, 18). Wir können außerdem beobachten, dass die Umstände bei der ersten Offenbarung, die diese Person an Daniel weitergibt, der ersten Begegnung des Herrn Jesus Christus mit dem damaligen Saulus sehr ähneln: Wie bei Saulus/Paulus spüren auch die Begleiter des Daniel, dass hier etwas geschieht, das ihr Verständnis weit übersteigt und ihnen Furcht einflößt. Aber nur der Prophet selbst – wie Saulus/Paulus – sieht die Vision bzw. den Herrn (vgl. Daniel 10, 7 – 19 mit Apostelgeschichte 9, 7; Apostelgeschichte 22, 9). Auch ist die Reaktion Daniels auf diese Vision der Reaktion des Apostels Johannes auf die Offenbarung des Herrn sehr ähnlich (vgl. Daniel 10, 8; Daniel 8, 27 mit Offenbarung 1, 17).
Die erste Antwort des in Leinen gekleideten “Mannes“ ist, dass diese Zeit nur die Hälfte der 70. Jahrwoche (vgl. Daniel 9, 24), also dreieinhalb Jahre andauern würde. Danach ergreift auch der Prophet das Wort und richtet eine Frage an den in Leinen gekleideten “Mann“. Ganz offensichtlich wollte er mehr über den Lohn erfahren, der der Auferstehung folgen würde und der schon in Daniel 12, 1 – 3 angesprochen wurde. Doch er erhält keine detailliertere Antwort. Ganz im Gegenteil, der “in Leinen gekleidete Mann“ weist den Propheten darauf hin, dass diese Dinge bis zum Ende der Zeit verborgen bleiben werden. Weitere Informationen zu diesem Thema sind nicht notwendig. Viel wichtiger als Spekulationen über diese Fragen ist das praktische Leben nach Gottes Willen. Genau darauf weist dann Vers 10 hin:
“Viele sollen gesichtet, gereinigt und geläutert werden; und die Gottlosen werden gottlos bleiben, und kein Gottloser wird es merken; aber die Verständigen werden es merken.“
Hier wird dem Propheten angekündigt, dass die zukünftige Bedrängnis, die über die Erde kommen wird, dazu führt, dass viele aus seinem Volk zum Gott ihrer Väter umkehren und eine geistliche Läuterung erfahren werden. Diese Menschen zählt Gott zu den “Verständigen“ oder – wie andere Übersetzungen hier sagen – den “Weisen“.
Wenn die Heilige Schrift von Weisheit spricht, dann ist damit nicht irgendein Kopfwissen gemeint. Zwar spricht die Heilige Schrift dem Verstand und seinem rechten Gebrauch einen sehr hohen Wert zu (z.B. in Sprüche 4, 5, wo Verstand von Weisheit unterschieden wird). Aber hier in Daniel 12, 10 geht es um mehr als pures Wissen. Nach der Definition der Heiligen Schrift ist ein weiser Mensch ein Mensch, der Ehrfurcht vor Gott hat (Psalm 111, 10; Sprüche 1, 7; Sprüche 9, 10) und sein Herz darauf richtet, Gottes Wort zu verstehen, um danach handeln zu können:
“Mein Sohn, wenn du meine Worte annimmst und meine Gebote bei dir bewahrst, so daß du der Weisheit dein Ohr leihst und dein Herz zur Klugheit neigst; wenn du um Verstand betest und um Einsicht flehst, wenn du sie suchst wie Silber und nach ihr forschest wie nach Schätzen, so wirst du die Furcht des HERRN verstehen und die Erkenntnis Gottes erlangen. Denn der HERR gibt Weisheit, aus seinem Munde kommen Erkenntnis und Verstand. Er sichert den Aufrichtigen das Gelingen und beschirmt, die unschuldig wandeln, daß sie die Pfade des Rechts bewahren; und er behütet den Weg seiner Frommen. Dann wirst du Tugend und Recht zu üben wissen und geradeaus wandeln, nur auf guter Bahn. Denn Weisheit wird in dein Herz kommen und die Erkenntnis wird deiner Seele gefallen, dann wird die Vorsicht dich beschirmen, der Verstand wird dich behüten, um dich zu erretten von dem bösen Weg, von dem Menschen, der Verkehrtes spricht (…)“
Im Gegensatz dazu steht nach biblischer Definition der “Tor“, d.h. der unweise oder unverständige Mensch, der nicht auf das Wort Gottes achtet, sondern ohne Gott und ganz nach seinen eigenen Vorstellungen lebt.
Wie bereits ausgeführt, enthält Daniel 12, 1 ff. letzte Aussagen Gottes über jene Zeit, in der Israels vollkommene Wiederherstellung als Gottes irdisches Volk kurz bevorsteht. Wir können diese Aussagen also nicht 1:1 auf uns als Christen übertragen. Im Zeitalter der Gnade, in dem wir leben dürfen, wird kein Mensch erlöst, weil er die Gebote Gottes hält. Erlösung geschieht durch die Gnade Gottes und mittels des Glaubens an das vollbrachte Werk Jesu Christi auf Golgatha. Sie ist eine Gabe, ein Geschenk der unverdienbaren Gnade Gottes (Epheser 2, 8 – 10). Aber wir können einige Prinzipien daraus betrachten, die wir auch auf unser Leben anwenden können:
Daniel 12, 10 ist ein Aufruf, alles, was Gott uns in Seinem Wort, der Heiligen Schrift, geoffenbart hat, zu beachten und sorgfältig zu studieren. Wer dies nicht tut, mag vielleicht den Namen “Christ“ tragen, er zeigt jedoch durch sein Verhalten, dass er in Wirklichkeit kein Nachfolger Christi ist. Denn der Sohn Gottes, der in der Heiligen Schrift als “das Wort Gottes“ in Person bezeichnet wird (vgl. Johannes 1, 1 – 14; Offenbarung 19, 13), sagt über Seine Worte, dass sie “Geist und Leben“ sind (Johannes 6, 63). Auf diese Worte gilt es zu hören und danach zu handeln. Wer das geschriebene Wort Gottes verachtet und sei es “nur“, indem er es “links liegen lässt“, der bringt damit – ob er will oder nicht – auch seine Geringschätzung für die Person des Erlösers zum Ausdruck. Jemand sagte einmal sehr treffend: Wir lieben das Fleisch gewordene Wort Gottes nur so sehr, wie wir auch Sein Schrift gewordenes Wort lieben. Nur auf diesem Weg ist es möglich, die Weisheit, die Gott in unser Herz geben möchte, zu empfangen. Dabei sind aber weder die Gebote, die Gesetze noch die Prophetien der Heiligen Schrift unser Fokus, sondern die Person unseres Erlösers Jesus Christus, denn
“(in ihm sind) alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen.“
Wenn wir dies tun, dann werden wir Menschen sein, wie die Gläubigen in Beröa, denen das Wort Gottes eine edle Gesinnung attestiert (Apostelgeschichte 17, 11 – 12).
Daniel 12, 10 zeigt uns aber auch, dass es naiv wäre, darauf zu vertrauen, dass eine von Gott losgelöste Menschheit sich im Lauf der Zeit doch irgendwie bessern könnte. Diese Vorstellung, der jene anhängen, die eine soziale Evolution vertreten oder der Meinung sind, wir befänden uns schon jetzt im Reich Gottes, wird tagtäglich durch die Realität Lügen gestraft. Das Neue Testament bestätigt die Aussage in Daniel 12, 10 an verschiedenen Stellen (1. Korinther 2, 14 – 16; 2. Timotheus 3, 13; Offenbarung 22, 11). Daraus aber den Schluss zu ziehen, wir könnten uns in eine geistliche “Biedermeierwelt“, in die Sphäre unseres persönlichen Glaubens, zurückziehen, ist ebenso verfehlt. Gerade das Wissen um diese Zusammenhänge, sollte uns motivieren, unsere ganze Kraft der Verkündigung des Evangeliums zu widmen, damit noch viele Menschen die erlösende Gnade Gottes erfahren und so aus Unverständigen Verständige, aus Toren Weisen werden können:
“(…) Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit; den wir verkündigen, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit, auf daß wir jeden Menschen vollkommen in Christo darstellen; wozu ich mich auch bemühe, indem ich kämpfend ringe gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt in Kraft.“
Fußnoten:
¹= In der Geschichtsforschung sind vier babylonische Könige bekannt, die den Namen “Nebukadnezar“ (bzw. babyl. Nabu-kudurri-usur) trugen. Der in der Bibel erwähnte König ist Nebukadnezar II., der von 605 v. Chr. bis 562 v. Chr. regierte.