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Johannes, der Augenzeuge
Unser heutiges Textwort ist dem Johannesevangelium entnommen (zur Zielgruppe des Johannesevangeliums: Klick!). Wie ich bereits in einem anderen Zusammenhang anmerkte, zeichnet sich dieses Evangelium durch viele Besonderheiten aus, die erkennen lassen, dass es sich bei Johannes um einen Augenzeugen der von ihm geschilderten Ereignisse gehandelt hat. Das machen u. a. die vielen Details, die er uns mitteilt, deutlich (die Stunde, um die sich Jesu am Brunnenrand niedersetzte [Johannes 4, 6], Zahl und Größe der Krüge auf der Hochzeit zu Kana [Johannes 2, 6], Gewicht und Wert der Salbe, mit der Maria von Magdala den Herrn Jesus salbte [Johannes 12, 3 – 5]), die Einzelheiten von Jesu Verhandlung [Johannes 18 und 19], siehe auch: Johannes 1, 14; Johannes 19, 35). Insgesamt berichtet uns Johannes von 27 Gesprächen. Im Gegensatz zu den anderen Evangelien haben diese Gespräche des Herrn weniger einen lehrmäßigen, dafür aber einen stark seelsorgerischen Charakter (siehe z.B. das Gespräch des Herrn mit Nikodemus [Johannes 3, 1 – 21], das Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen [Johannes 4, 7 – 26] das Gespräch mit dem bußfertigen Petrus nach der Verleugnung [Johannes 21, 15 – 23]). Dadurch sind diese Gespräche eine gute Belehrung für die Versammlung (= Gemeinde/Kirche), wie sie mit seelsorgerischen Problemen umgehen kann. Ebenso spricht die detaillierte Wiedergabe der Belehrungen des Herrn über das Kommen und den Dienst des Heiligen Geistes (Johannes 14, 15 und 16) dafür, dass Johannes Zeuge dieser Begebenheiten war¹. Dass es sich bei dem Verfasser dieses Evangeliums um den Apostel Johannes gehandelt hat, ist durch die altkirchliche Überlieferung bestätigt, so z.B. durch Irenäus, der ein Schüler des Johannes-Schülers Polycarp von Smyrna (Märtyrertod um 155 n. Chr.) war².
Auch die Geschehnisse, die im Zusammenhang mit unserem heutigen Textwort stehen, werden uns aus der Perspektive des Augen- und Ohrenzeugen berichtet:
“Des folgenden Tages stand wiederum Johannes und zwei von seinen Jüngern, und hinblickend auf Jesum, der da wandelte, spricht er: Siehe, das Lamm Gottes! Und es hörten ihn die zwei Jünger reden und folgten Jesu nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und spricht zu ihnen: Was suchet ihr? Sie aber sagten zu ihm: Rabbi (verdolmetscht heißt: Lehrer) wo hältst du dich auf? Er spricht zu ihnen: Kommet und sehet! Sie kamen nun und sahen, wo er sich aufhielt, und blieben jenen Tag bei ihm. Es war um die zehnte Stunde. Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer von den zweien, die es von Johannes gehört hatten und ihm nachgefolgt waren. Dieser findet zuerst seinen eigenen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden (was verdolmetscht ist: Christus) -. Und er führte ihn zu Jesu. Jesus blickte ihn an und sprach: Du bist Simon, der Sohn Jonas‘; du wirst Kephas heißen (was verdolmetscht wird: Stein) -. Des folgenden Tages wollte er aufbrechen nach Galiläa, und er findet Philippus; und Jesus spricht zu ihm: Folge mir nach. Philippus aber war von Bethsaida, aus der Stadt des Andreas und Petrus.
Philippus findet den Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben den gefunden, von welchem Moses in dem Gesetz geschrieben und die Propheten, Jesum, den Sohn des Joseph, den von Nazareth. Und Nathanael sprach zu ihm: Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh!„
Wegweiser
Nachdem Johannes der Täufer in dem Herrn Jesus den von Gott verheißenen Messias erkannt hat, bezeugt er Ihn vor den Menschen als das “Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt“ (Johannes 1, 29). Auch seine eigenen Jünger verweist der Täufer in dieser Weise auf den Herrn (Johannes 1, 35). Sie verlassen daraufhin den Täufer und treten in die Nachfolge des Herrn Jesus ein. Nirgendwo in den Evangelien lesen wir, dass Johannes, der Täufer, sich über dieses Verhalten seiner Jünger beschwert hätte. Im Gegenteil. Es scheint sein Wunsch gewesen zu sein. Er wusste, dass er nur ein Wegweiser auf Christus hin war. Der Evangelist Johannes beschreibt die Aufgabe des Täufers wie folgt:
“Da war ein Mensch, von Gott gesandt, sein Name Johannes. Dieser kam zum Zeugnis, auf daß er zeugte von dem Lichte, damit alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern auf daß er zeugte von dem Lichte.“
In welchem Bewusstsein der Täufer seinen Dienst ausführte wird auch durch seine eigenen Worte deutlich:
“Er sprach: Ich bin «eine Stimme, die da ruft in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn!» wie der Prophet Jesaja gesagt hat.“
(Johannes 1, 23; vgl. Jesaja 40, 3)
“Da kommt Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Er aber wehrte es ihm und sprach: Ich habe nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“
Dieses Bewusstsein finden wir auch bei den Jüngern, die nun Jesus nachfolgen und ihn als den Messias Israels bezeugen. Von dem Jünger Andreas heißt es:
“Dieser findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden (das heißt übersetzt: den Gesalbten). Und er führte ihn zu Jesus.„
“Und er führte ihn zu Jesus.“ – Diese wenigen Worte charakterisieren das “Missionskonzept“ der Jünger des Herrn: Aus eigener Erfahrung wussten sie, dass nicht das menschliche Verlangen nach Erlösung stillen kann, außer eine Begegnung mit dem Erlöser. Darum verweisen sie – wie der Täufer – auf Ihn, nicht auf sich selbst. Sie suchen keine Anhänger für sich, bilden keine eigenen neue Gruppe mit eigenen Nachfolgern. Nein, sie laden ein, den Erlöser selbst kennenzulernen. Das hat sich bis heute nicht geändert und es ist das Kennzeichen, an dem wahre und falsche Jünger des Herrn unterschieden werden können. Als der Apostel Paulus sich von den Ältesten in Troas verabschiedete, warnte er sie vor falschen Jüngern:
“Denn ich weiß dieses, daß nach meinem Abschiede verderbliche Wölfe zu euch hereinkommen werden, die der Herde nicht schonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her.“
Aus der Mitte der Gläubigen, so kündigt Paulus hier an, würden Männer mit falschen Motiven aufstehen. Ihre Lehre würde nicht dem Evangelium entsprechen und auf den Herrn Jesus verweisen, sondern nur den einen Zweck verfolgen, nämlich eine eigene Anhängerschaft für diese Menschen aufzubauen. Mit harten Worten bezeichnet der Apostel diese falschen Lehrer. Er nennt sie “verderbliche Wölfe“ und kennzeichnet sie damit als “Anti-Hirten“. Diese Menschen stehen nicht in der Nachfolge des guten Hirten (Johannes 10, 7 – 18). Wie ein Wolf einzelne Schafe von der Herde absondert, um sie zu erlegen, so spalten diese Menschen die Gläubigen. Sie tun das nicht, weil es ihnen um die Trennung von falscher Lehre oder Unmoral ginge (2. Johannes 9 – 11; 1. Korinther 5, 11 – 13), den einzigen Gründen, aus denen die Heilige Schrift eine Trennung unter Gläubigen gestattet. Nein, sie spalten die Gläubigen, um aus einzelnen eine Gruppe zu formen, die dann ihnen – und nicht mehr dem Herrn – zu dienen hat. Wie schnell solche gefährlichen Tendenzen entstehen können, zeigen die Zustände, die der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gläubigen in Korinth tadeln muss:
“Mir ist nämlich, meine Brüder, durch die Leute der Chloe bekanntgeworden, daß Zwistigkeiten unter euch sind. Ich rede aber davon, daß unter euch der eine spricht: Ich halte zu Paulus; der andere: Ich zu Apollos; der dritte: Ich zu Kephas; der vierte: Ich zu Christus! Ist Christus zerteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden, oder seid ihr auf des Paulus Namen getauft?“
An dieser Fragemüssen wir unsere eigene Verkündigung, aber auch jede andere Verkündigung, die wir hören, prüfen: Führt sie zu Jesus Christus? Oder stellt sie jemand anderen, etwas anderes, in den Mittelpunkt? Lernt der Gläubige durch sie den Herrn und Sein Evangelium besser kennen? Macht diese Verkündigung den Erlöser groß oder jemand anderen? Ist sein befreiendes Evangelium durch sie erlebbar oder bringt sie die Gläubigen wieder unter neue Gesetze?
Komm und sieh!
Bemerkenswert ist in diesen Versen aber nicht nur der Inhalt der Verkündigung der Jünger, sondern auch die Art, wie die Einladung durch sie weitergegeben wird. Von Andreas haben wir gelesen, dass er seinem Bruder Simon sagt: “Wir haben den Messias gefunden (das heißt übersetzt: den Gesalbten). Und er führte ihn zu Jesus.“ (Johannes 1, 41) Philippus wendet sich mit ähnlichen Worten an Nathanael: “Wir haben den gefunden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, den Sohn Josephs, von Nazareth.“ (Johannes 1, 45) Doch Nathanael reagiert nicht gleich so positiv wie Simon. Er antwortet “Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ (Johannes 1, 46). Kommentatoren haben darüber gerätselt, was Nathanael mit dieser Frage ausdrücken wollte. Einige haben angenommen, dass Nazareth als Stadt zu unbedeutend war, als das aus ihr der Messias hätte kommen können. Andere haben darauf hingewiesen, dass die Stadt einen schlechten Ruf gehabt haben soll. Es wäre auch möglich gewesen, dass Nathanael bei den Worten des Philippus an die Prophetie in Micha 5, 2 gedacht hat und daher Nazareth als Ort, der mit dem Messias in Beziehung stand, nicht in Betracht zog. Philippus versucht nicht, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Er lädt Nathanael ein, sich selbst ein Bild von dem Messias zu machen: “Komm und sieh!“ (Johannes 1, 46). Müssen wir aus dieser Begebenheit schließe, dass wir uns als Gläubige auf keine Diskussion oder Gespräche über Glaubensfragen einlassen sollten? Ich glaube nicht. Von dem Apostel Paulus wissen wir, dass er zahlreiche solcher Glaubensgespräche geführt hat und auch immer dazu bereit war. Auch für uns ist es wichtig, dass wir über die Lehren des Evangeliums gut Bescheid wissen, uns gut in den Fragen unseres Glaubens auskennen. Denn der Apostel Petrus fordert uns auf, dass wir jederzeit bereit sein sollen, jedem Auskunft über unseren Glauben zu geben (1. Petrus 3, 15). Aber von Philippus können wir lernen, dass es bei allen Glaubensfragen schlussendlich auf die Begegnung mit dem Herrn Jesus selbst ankommt. Dort wird der Suchende Antwort auf alle seine Fragen finden. Von Philippus können wir lernen, dass es nicht nur die, die gut reden können oder die, die schon viel Wissen über den Glauben haben, Zeugen für den Herrn sein können. Jeder, der selbst in einer lebendigen Beziehung zu seinem Herrn und Erlöser steht, kann ein Zeuge für Ihn sein, kann Menschen zu Ihm führen. Auf diese Weise ist Philippus‘ Dienst eine Ermutigung für uns alle.
Fußnoten:
¹ = vgl. Merrill C. Tenney: “Die Welt des Neuen Testaments“, Verlag der Francke-Buchhandlng, Marburg an der Lahn 1979, Seite 207 – 219
² = Erich Mauerhofer: “Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments“, Verlag für Theologie und Religionswissenschaft Nürnberg, 3. Auflage 2004, Band I, Seite 215
³ = Erich Mauerhofer, a.a.O., Seite 237 – 240