Im 8. Kapitel seines Buches – und dort in Vers 2 – kündigt der Prophet Sacharaja prophetisch eine Zeit an, in der sich andere Nationen dem Volk Israel aus einem ganz bestimmten Grund zuwenden werden:
„So spricht der HERR der Heerscharen: In jenen Tagen wird’s geschehen, daß zehn Männer aus allen Sprachen der Nationen einen Juden beim Rockzipfel festhalten und zu ihm sagen werden: «Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, daß Gott mit euch ist!»“
„Wir haben gehört, dass Gott mir euch ist!“ – Das Wissen darum, dass Gott mit diesem Volk ist, es leitet, bewahrt, versorgt – kurz gesagt: dass der Schöpfer des gesamten Universums (denn es heißt hier ja nicht: „… dass [irgend-] ein Gott mit euch ist“, sondern einfach „Gott [und damit der einzig wahre] Gott mit euch ist“) mit diesem Volk ist, macht dieses Volk bzw. die Möglichkeit, mit diesem Volk Gemeinschaft haben zu können („mitgehen“), so anziehend.
Im 2. Buch Mose lesen wir, dass sich den Israeliten, die aus Ägypten auszogen, auch viele „Fremde“, d.h. Menschen, die nicht diesem Volk angehörten, anschlossen und sich mit ihm zusammen auf den Weg in das verheißene Land machten:
„Also zogen die Israeliten aus von Ramses nach Sukkot, sechshunderttausend Mann zu Fuß ohne die Frauen und Kinder. Und es zog mit ihnen viel fremdes Volk, dazu Schafe und Rinder : sehr viel Vieh.“
Wir können davon ausgehen, dass die mit dem Volk mitziehenden Fremdlinge die Zeichen und Wunder, die Gott vor dem Auszug der Israeliten an dem Land Ägypten tat, miterlebt hatten. Ihnen war nicht verborgen geblieben, dass Gott mit Israel war, für dieses Volk eintrat und für es stritt. Diese Menschen wussten: Wenn wir uns diesem Volk anschließen, schließen wir uns auch diesem Gott an und wenn er für dieses Volk eintritt, dann werden auch wir bewahrt und sicher sein.
Jahrtausende nach diesen Geschehnissen schreibt der Apostel Paulus an die Christen in Korinth:
„Wenn aber alle weissagten, und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger herein, so würde er von allen überführt, von allen erforscht; das Verborgene seines Herzens würde offenbar, und so würde er auf sein Angesicht fallen und Gott anbeten und bekennen, daß Gott wahrhaftig in euch sei.“
Was haben wir unter dem Begriff „Weissagung“ biblisch zu verstehen?
Ein Kommentator erläutert diesen Begriff bzw. diese Textstelle wie folgt:
„Zwei Verse in diesem Kapitel [gemeint ist das 14. Kapitel des 1. Korintherbriefes, JNj.], der dritte und sechste, erfordern einige Aufmerksamkeit. Der erstere gibt uns nicht eine Auslegung darüber, was unter Weissagung zu verstehen ist, sondern bezeichnet die Wirkung oder besser die Eigenschaften dessen, was ein Prophet sagt. Der Prophet erbaut, ermuntert, tröstet durch sein Sprechen. Jedoch beschreiben diese Ausdrücke den Charakter dessen, was er sagte. Das Weissagen ist keineswegs nur die Offenbarung zukünftiger Ereignisse, obwohl Propheten als solche derartige Ereignisse geoffenbart haben. Ein Prophet ist jemand, der so in Gemeinschaft mit Gott ist, dass er fähig ist, die Gedanken Gottes mitzuteilen. Ein Lehrer unterweist nach dem, was schon geschrieben ist und erklärt die Tragweite desselben. Aber indem der Prophet die Gedanken Gottes den Seelen, die unter der Gnade waren, mitteilte, ermunterte und erbaute er sie. (…)
Der Apostel unterscheidet zwei Arten solcher Mitteilungen: Offenbarung und Erkenntnis. Die letztere setzt eine bereits gegebene Offenbarung voraus, deren sich jemand durch den Heiligen Geist zum Wohle der Herde bediente. Hierauf bezeichnet der Apostel die Gaben, welche die bezüglichen Mittel bildeten, um auf jene beiden Arten die Versammlung zu erbauen. Nicht als ob die beiden letzten Ausdrücke in Vers 6 gleichbedeutend wären mit den beiden ersten; aber die beiden Dinge, von denen hier als zur Auferbauung der Kirche dienend gesprochen wird, wurden vermittels dieser beiden Gaben ausgeübt. Es konnte „Weissagung“ da sein, ohne dass es unbedingt eine neue Offenbarung sein musste, obwohl mehr in ihr vorhanden war als Erkenntnis. Sie konnte eine Anwendung der Gedanken Gottes enthalten – Gott konnte Sich dadurch an die Seele, an das Gewissen wenden, was mehr als Erkenntnis, aber dennoch keine neue Offenbarung war. Gott war darin wirksam, ohne eine neue Wahrheit oder eine neue Tatsache zu offenbaren. „Erkenntnis“ oder „Lehre“ unterweisen in den Wahrheiten oder erklären das Wort – eine für die Versammlung sehr nützliche Sache; aber die unmittelbare Tätigkeit des Geistes kommt nicht dabei in Anwendung, und daher fehlt auch die unmittelbare Offenbarung der Gegenwart Gottes für die Menschen in ihrem eigenen Gewissen und Herzen. Wenn jemand lehrt, so hat der geistliche Christ Nutzen davon; wenn jemand weissagt, wird selbst der ungeistliche es fühlen, er wird erreicht und beurteilt, und so ist es auch mit dem Gewissen des Christen. „Offenbarung und Erkenntnis“ stellen einen vollkommenen Abschnitt dar und umfassen alles, „Weissagung und Lehre“ stehen in inniger Beziehung zu jenen beiden, aber die Weissagung schließt andere Vorstellungen ein, so dass dieser Abschnitt (Weissagung und Lehre) nicht genau den beiden ersten Ausdrücken entspricht.
Welch eine wunderbare Kraft zeigt sich hier, welch eine Offenbarung der Gegenwart Gottes – eine Sache, die unsere tiefste Aufmerksamkeit verdient; und zugleich welch eine Erhabenheit über alle fleischliche Eitelkeit und über den Glanz, der durch die Gaben auf den Menschen zurückfiel! Welch eine moralische Kraft des Geistes Gottes, indem die Liebe in diesen Offenbarungen der Macht in den Gaben nur Mittel erblickte, die zum Wohl der Versammlung und der Seelen benutzt werden sollten! Es war die praktische Kraft jener Liebe, zu deren Ausübung, als über den Gaben stehend, der Apostel die Gläubigen ermahnte. Es war die Liebe und die Weisheit Gottes, welche die Ausübung Seiner Macht zum Wohle derer, die Er liebte, leitete. Welch eine Stellung für einen Menschen! Welche Einfalt wird durch die Gnade Gottes einem Manne mitgeteilt, der sich selbst in Demut und Liebe vergisst, und welche Kraft liegt in dieser Demut! Der Apostel bekräftigt seine Beweisführung durch einen Hinweis auf die Wirkung, die auf Fremde, die in die Versammlung kamen, oder auf nicht erleuchtete Christen ausgeübt werden würde, wenn sie Sprachen reden hörten, die niemand verstand; sie würden denken, die Versammelten seien von Sinnen. Hingegen würde die Weissagung, die ihr Gewissen erreichte, sie fühlen lassen, dass Gott da war, dass Er in der Versammlung Gottes gegenwärtig war.“¹
Halten wir also fest:
Weissagen in diesem Zusammenhang bedeutet ein Aussprechen/Verkündigen der Gedanken Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes. Weissagung hat nicht ausschließlich mit zukünftigen Dingen zu tun, sondern dient der Auferbauung, der Tröstung bzw. Ermahnung der Zuhörer (1. Korinther 14, 3). Die Auswirkungen eines solchen Dienstes werden sichtbar sein: Herzen der Zuhörer werden getroffen und verändert, Ungläubige wenden sich Gott zu, („fallen auf ihr Angesicht“), Spötter werden Anbeter. Es wird ganz offensichtlich: Gott ist hier.
Einen solchen Dienst kann nur tun, wer in enger Gemeinschaft mit Gott und Seinem Wort lebt:
„Das Wort Christi wohne reichlich unter euch; lehret und ermahnet euch selbst mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern; singet Gott lieblich in euren Herzen.Kol 3,17 Und was immer ihr tut in Wort oder Werk, das tut im Namen des Herrn Jesus und danket Gott und dem Vater durch ihn.“ (Kolosser 3, 16 – 17)
Ein solcher Dienst kann nur Auswirkungen haben, wenn er mit Gebet getränkt ist:
„Brüder, betet für uns!“
Ein solcher Dienst kann nur in wirklicher Abhängigkeit von Gott getan werden. Der Apostel Paulus ist hier unser Vorbild:
„Bei allem Gebet und Flehen aber betet jederzeit im Geist, und wachet zu diesem Zwecke in allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen, auch für mich, damit mir ein Wort gegeben werde, so oft ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums kundzutun …“
Aber wenn eine enge Beziehung zu Gott durch Sein Wort und Gebet vorhanden ist, dann wird ein solcher Dienst auch die Auswirkungen haben, die Gottes Wort als Maßstab an ihn anlegt: er wird auferbauen, ermahnen, trösten. Gott wird durch einen solchen Dienst offenbar. Menschen werden in ihrem Herzen von Gottes Wort getroffen und bekennen: „Gott ist wahrhaftig in euch!“ Nicht irgendein Gott, sondern der eine lebendige Schöpfer dieses Universums.
Machen wir es neu zu unserem Gebet: „Gott, mach aus mir einen Menschen, der aus tiefer Abhängigkeit zu Dir lebt und Dir dient. Lass mich nicht auf Methoden oder Aktivitäten vertrauen, sondern auf Dich. Lass mich nicht nach menschlichen Wegen suchen, Deine Werke zu tun, sondern lass mich die Werke entdecken und erkennen, die Du im Voraus für mich bereitet hast, damit ich sie tue. Lass mich ein transparenter Christ sein, damit Du erkannt wirst von denen, denen Du Dich offenbaren willst.“
¹= zitiert aus: „Betrachtungen über das Wort Gottes“ von J. N. Darby, Band 5 (Apostelgeschichte – 2. Korinther), Ernst-Paulus-Verlag, Postfach 100856, 67434 Neustadt, Seite 260 – 264.