Hintergrund 32: Der Hebräerbrief

Papyrus13

Zwei Spalten des zwischen 225 – 250 n. Chr. entstandenen Papyrus P 13, der Teile des Hebräerbriefes enthält * Quelle: Saiht via Wikimedia Commons

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Zum Hintergrund des Hebräerbriefes: Autor, Abfassungszeit, Empfänger

Der Hebräerbrief gehört mit dem Römerbrief und den Korintherbriefen zu den “großen“, d.h. den umfangreichen Briefen des Neuen Testaments. Für viele Christen ist dieser Brief jedoch eines der neutestamentarischen Bücher, mit denen sie sich schwer tun. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass zum Verständnis dieses Briefes eine gute Kenntnis des Alten Testaments unerlässlich ist. Kein anderer Brief greift so oft auf das Alte Testament, seine Berichte, Gebote und Zeremonien zurück, wie der Hebräerbrief. Leider haben heute immer weniger Christen Interesse an einem gründlichen Bibelstudium, insbesondere an einer intensiven Beschäftigung mit dem Alten Testament. Das wiederum führt dazu, dass sich ihnen auch viele Kostbarkeiten des Neuen Testaments (z.B. aus dem Hebräerbrief) nicht erschließen. Dabei betont z. B. der Apostel Paulus mehrfach, welche wichtige Rolle das Alte Testament beim Verständnis des Neuen Testaments spielt (vgl. Römer 15, 41. Korinther 10, 11).
Viele Ausleger sehen im Hebräerbrief eher eine schriftlich niedergelegte Predigt als einen Brief, auch wenn zwei Verse, in denen persönliche Mitteilungen und Grüße übermittelt werden, den Abschluss bilden. Der Verfasser selbst bezeichnet seine Schrift als „Wort der Ermahnung“ (Hebräer 13, 22).
Was den Schreiber des Hebräerbriefes betrifft, so findet sich weder im Brief selbst noch an anderer Stelle im Neuen Testament ein Hinweis auf seine Person. Im Verlauf der Kirchengeschichte sind viele uns aus dem Neuen Testament bekannte Personen als mögliche Autoren vorgeschlagen worden (Paulus, Barnabas, Lukas etc.). Konkrete Belege für die Autorenschaft eines dieser Männer gab es jedoch nicht.  Lediglich der Gebrauch des maskulinen Partizips “διηγουμενον“ (“diegoumenon“), d.h. “erzählen“, in Hebräer 11, 32 deutet auf einen männlichen Schreiber hin. Da der Autor jedoch wahrscheinlich ein Apostel oder zumindest der enge Mitarbeiter eines Apostels war (vgl. Hebräer 13, 23) und da der Inhalt des Briefes mit der bereits bekannten Lehre der Apostel in Übereinstimmung stand, wurde der Brief als göttlich inspiriertes Buch in der frühen Christenheit anerkannt.
Für eine Datierung in die Zeit zwischen 60 n. Chr. und 70 n. Chr. sprechen die Bezugnahme auf die Verkündigung des Evangeliums an die Empfänger durch Ohrenzeugen des Auferstandenen (Hebräer 2, 3), sowie die Erwähnung der Gefangenschaft des Timotheus (Hebräer 13, 23), der zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes also noch am Leben gewesen sein muss. Aus Hebräer 10, 34 und Hebräer 13, 3 ist ersichtlich, dass die Empfänger Verfolgung erlitten hatten. Da die erste Verfolgungswelle unter Nero im Jahr 64. n. Chr. einsetzte, muss der Brief während oder nach dieser Zeit geschrieben worden sein.
Obwohl die Bezeichnung „An die Hebräer“ für diesen Brief erst ab der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. belegt ist, wird aus seinem ganzen Kontext deutlich, dass er sich an Juden in Israel richtet, die sich dem christlichen Glauben zugewandt hatten (vgl. Apostelgeschichte 2, 41; 4, 4; 5, 14; 21, 20). Unter ihnen waren solche, die  klar erkannt hatten, dass der Glaube an den Herrn Jesus Christus der einzige Weg zum  Heil war (Hebräer 3, 1; 6, 1 – 3), aber auch solche, die nur äußerlich eine Hinwendung zum christlichen Glauben vollzogen hatten, innerlich aber – zumindest teilweise – noch am Gesetz und dem Tempeldienst in Jerusalem festhielten. Unter den einsetzenden Verfolgungen seitens der jüdischen und später auch der römischen Autoritäten (Apostelgeschichte 8, 1 – 3; 11, 19; 12, 1 – 3; 1. Thessalonicher 2, 14; Hebräer 10, 32 – 34, Hebräer 12, 4 – 11) erwogen Letztere wohl die Rückkehr zum Judentum.  An diese Gruppe von Lesern sind zahlreiche Ermutigungen und Ermahnungen gerichtet, mit dem Glauben an Christus (endlich) “ganze Sache“ zu machen und nicht wieder in den früheren Zustand zurückzufallen.

Anlass, Inhalt und Aufteilung des Briefes

Anlass des Briefes war ganz offensichtlich die Tendenz der Leser, unter dem Druck der Verfolgung den Glauben an Christus zu verleugnen und zum Judentum zurückzukehren. Angesichts der vollkommenen Offenbarung Gottes in Jesus Christus (Kolosser 1, 15 – 20)  war ein solcher Rückfall in die vorausgegangene und damit unvollkommene Offenbarung, ein eindeutiges Abweisen des (letzten) Redens Gottes.  Wenn bereits die Abweisung des Redens Gottes unter dem Gesetz des Mose schwerwiegende Folgen hatte (Hebräer 10, 28), dann konnte die Verwerfung der letzten und vollkommenen Offenbarung Gottes nicht ohne Konsequenzen bleiben (Hebräer 10, 29). Darum warnt der Autor des Hebräerbriefes seine Leser fünfmal davor. Außerdem ist ersichtlich, dass die Gläubigen, an die dieser Brief  ursprünglich gerichtet wurde, durch die äußeren Widerstände entmutigt worden waren. Das hatte zur Folge, dass sie in ihrer Glaubenszuversicht verunsichert und als Folge davon wiederum träge im Glauben geworden waren (Hebräer 5, 11 – 14; Hebräer 6, 10 – 12). Auch in diesem Zusammenhang ermahnt und ermutigt der Autor des Briefes seine Leser (Hebräer 10, 32; Hebräer 13, 7).
Auf diesem Hintergrund könnte man annehmen, dass Ermahnungen und Ermutigungen das zentrale Thema des Briefes seien. Dem ist jedoch nicht so. Der Autor weiß, dass nicht seine Ermahnungen und Ermutigungen – so wichtig sie auch sind – das wirkliche Heilmittel für die Probleme der Hebräer darstellen. Allein durch die Neuausrichtung auf Jesus Christus selbst – auf Seine herrliche Person und Seinen wirkungsvollen Dienst – kann den Hebräern geholfen werden. Und darum stellt der Autor seinen Lesern auf weiten Strecken seines Briefes immer wieder die überragende Offenbarung Gottes in Christus, die alle vorausgegangenen Diener Gottes überragende Person des Sohnes Gottes, Sein vollkommenes, alle Opfer des Alten Bundes “in den Schatten“ stellendes Opfer und Seine gegenwärtige, hohenpriesterliche Wirksamkeit für die Gläubigen in den Vordergrund. Ermahnungen und Ermutigungen reichen niemals aus. Zu Ihm, Jesus Christus, müssen die Gläubigen aufschauen, Ihn, den Sohn Gottes sollen sie betrachten (vgl. Hebräer 2, 9; Hebräer 3, 1; Hebräer 12, 2 und Hebräer 12, 3!), denn nur so werden sie in Sein Ebenbild verwandelt (2. Korinther 3, 18!).
Der Hebräerbrief ist verschiedentlich als “Wüstenbrief“ bezeichnet worden: Gläubige, die sich in schwierigen Lebensumständen befinden und zu hadern beginnen, werden hierin zu dem einzigen Fels geführt, aus dem Wasser quillt: Christus (vgl. 2. Mose 17, 1 – 7; 1. Korinther 10, 4). 

Wir können den Hebräerbrief grob in 5 große Blöcke aufteilen:

Block I (Hebräer 1, 1 –  Hebräer 2, 18) befassen sich mit der letzten und abschließenden, alles erfüllenden Offenbarung Gottes in Jesus Christus: a) Jesus Christus als “das letzte Wort (= Reden)“  Gottes an diese Welt (Hebräer 1, 1 – 4), b) die alles überragende Stellung des Sohnes Gottes (Hebräer 1, 5 – 14), c) die erste Warnung: die Gefahr der Nachlässigkeit (Hebräer 2, 1 – 4), d) die Erniedrigung und die Verherrlichung des Sohnes Gottes (Hebräer 2, 5 – 9), e) das stellvertretende Leiden und Sterben des Sohnes Gottes (Hebräer 2, 10 – 18).

Block II (Hebräer 3, 1Hebräer 5, 10) enthält Belehrungen, die im Zusammenhang mit dem hohenpriesterlichen Dienst des Erlösers für die Kinder Gottes stehen: a) die Treue des Sohnes Gottes (Hebräer 3, 1 – 6), b) die zweite Warnung: die Gefahr des Unglaubens (Hebräer 3, 7 – 19), c) die Ruhe Gottes, in die die Gläubigen mittels des Glaubens (ohne Werke) eingehen (Hebräer 4, 1 – 14), d) die Kraft des Wortes Gottes (Hebräer 4, 12 – 13), e) der beständig freie Zutritt zu Gott durch Christus (Hebräer 4, 14 – 16), f) Christus, unser barmherziger Hoherpriester (Hebräer 5, 1 – 10).

An dritter Stelle steht der umfangreichste Block, der den Text von Hebräer 5, 11 bis Hebräer 10, 39  umfasst. Wir können ihn wiederum in vier größere Abschnitte unterteilen: Abschnitt A (Hebräer 5, 11Hebräer 6, 12) spricht über die Gefahr der Unreife in geistlichen Dingen und enthält die dritte Warnung. Zuerst (Hebräer 5, 11 – 14) geht der Autor auf die geistliche Verfassung seiner Leser ein. Er stellt ihnen die Notwendigkeit der Korrektur ihrer gegenwärtigen geistlichen Verfassung vor Augen (Hebräer 6, 1 – 3) und zeigt zugleich auf, was a) geschehen kann, wenn diese Korrektur nicht erfolgt (Hebräer 6, 4 – 8) bzw. b) geschehen wird, wenn diese Korrektur erfolgt (Hebräer 6, 9 – 12).  In Abschnitt  B (Hebräer 6, 13 – 20) wird die Grundlage aufgezeigt, auf der die Gläubigen zuversichtlich und standhaft den zuvor beschrieben Weg zur geistlichen Reife beschreiten können. Anschließend stellt der Autor in Abschnitt C (Hebräer 7, 1Hebräer 10, 18) uns Christus und Seinen hohenpriesterlichen Dienst für die Kinder Gottes vor: a) Die Person unseres Hohenpriesters (Hebräer 7, 1 ff.), b) der Dienst unseres Hohenpriesters (Hebräer 8, 1Hebräer 9, 28) und c) das vollkommene Werk unseres Hohenpriesters (Hebräer 10, 1 – 18). Abschnitt D befasst sich mit den Konsequenzen, die die bewusste, willentliche, Ablehnung des Redens Gottes zur Folge hat und enthält auch die vierte Warnung des Briefes (Hebräer 10, 19 – 39): Zu Beginn dieses Abschnitts spricht der Autor eine dreifache Ermahnung aus (Hebräer 10, 19 – 25). Danach folgt eine Warnung vor dem Gericht (Hebräer 10, 26 – 31). Der Abschnitt schließt mit der Ermutigung, angesichts der kommenden, großen Ermutigung trotz aller Schwierigkeiten im Glauben an Christus standhaft auszuharren (Hebräer 10, 32 – 39).

Block IV (Hebräer 11, 1Hebräer 12, 13) kann in zwei größere Abschnitte unterteilt werden. In Abschnitt A (Hebräer 11, 1 – 40) werden die Leser durch zahlreiche Beispiele ermutigt, im Glauben an Christus auszuharren. Als Glaubensvorbilder werden ihnen Gläubige aus der Zeit vor der Sintflut (Hebräer 11, 1 – 7), Gläubige aus der Zeit der Patriarchen (Hebräer 11, 8 – 22), Gläubige aus der Zeit des Gesetzes (Hebräer 11, 23 – 31) und Gläubige aus der mit Christus begonnenen und bis zur Abfassung des Briefes vergangenen Gnadenzeit (Hebräer 11, 32 – 40) vor Augen gestellt. Um die Ermutigung durch die Glaubensvorbilder aus Abschnitt A zu verstärken, zeigt der Autor dann in Abschnitt B (Hebräer 12, 1 – 13), in welcher Weise Christus selbst trotz aller Widrigkeiten und Bedrängnisse um der Gläubigen willen ausharrte. Daran anschließend wird die richtige Sichtweise, die Christen angesichts der Prüfungen ihres Glaubens einnehmen sollten, dargelegt (Hebräer 12, 4 – 11). Abschließend fordert der Autor die Leser dazu auf, mit neuer Entschlossenheit im Glauben voranzugehen (Hebräer 12, 12 – 13).

Der fünfte und letzte Block (Hebräer 12, 14Hebräer 13, 25) geht in zwei kurzen Abschnitten noch einmal auf das Leben des Gläubigen in einer gottlosen und daher auch ihnen feindlich gegenüber stehenden Welt ein: In Abschnitt A (Hebräer 12, 14 – 29) finden wir erneut einen Hinweis auf die Konsequenzen, die die Ablehnung des Redens Gottes nach sich zieht und die fünfte Warnung dieses Briefes. Die Gläubigen sollen im Frieden mit Gott, den Mitgläubigen und den Mitmenschen leben (Hebräer 12, 14 – 17). Ein solches Leben entspricht dem geistlichen Reichtum, den Gott dem Gläubigen in der gegenwärtigen Gnadenzeit in Christus geschenkt hat (Hebräer 12, 18 – 24). Angesichts dieses geistlichen Reichtums und der Größe des Erlösers, der ihn uns erworben hat, muss der Abfall davon bzw. Rückfall in Vorausgegangenes schwerwiegende Konsequenzen haben. Abschnitt B (Hebräer 13, 1 – 25) befasst sich mit dem Leben innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen: In Hebräer 13, 1 – 21 finden wir mehr allgemein gehaltene Hinweise. Den Abschluss des Briefes bilden persönliche, ermutigende Worte des Autors an seine Leser (Hebräer 13, 22 – 25).

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