Hintergrund 28: Das 1. Buch Chronik (1)

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Zum Hintergrund des 1. Chronikbuches

Name, Charakter, Autor und Entstehungszeit des Buches

In den ältesten hebräischen Kopien der beiden Chronikbücher, die uns überliefert sind, werden sie als דברי הימים““ (“Divrei Hayamim“), also die  “Dinge/Ereignisse, die übriggelassen wurden“ bezeichnet (vgl. 1. Chronik 27, 24b). Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den Berichten in diesen Büchern um Aufzeichnungen handelt, die in den (vorangegangenen) Büchern der Könige bzw. des Propheten Samuel keine Erwähnung fanden. In späteren Zeiten wurden die Chronikbücher dann auch als “Tägliche Ereignisse“ oder “Worte (d.h. Berichte/Aufzeichnungen) der Tage“ bezeichnet, womit ihre Stellung als offizielle Aufzeichnungen bzw. Berichte unterstrichen wird (vgl. die Ähnlichkeit zu 1. Könige 14, 19 + 29; 1. Könige 15, 7; 1. Könige 15, 23 + 31; 1. Könige 16, 5; 1. Könige 16, 14; 1. Könige 16, 20 + 27; 1. Könige 22, 45 und Esther 2, 23; Esther 6, 1; Esther 10, 2). Die beiden Chronikbücher geben uns also einen Bericht über die israelischen Könige und zwar nach der Trennung des Gesamtreiches Israel in das Nordreich “Israel“ und das Südreich “Juda und Benjamin“. Dabei liegt der Schwerpunkt in den Chronikbüchern eindeutig auf der Geschichte der Könige des Südreiches.
Wie die beiden Bücher der Könige und die beiden Bücher des Propheten Samuel, so waren auch die zwei Chronikbücher ursprünglich ein Buch. Erst mit der Übersetzung des Alten Testaments in die griechische Sprache, also seit der Entstehung der Septuaginta (LXX), wurden diese umfangreichen Bücher in zwei Einzelbücher unterteilt. In der Septuaginta tragen die beiden Chronikbücher den Titel “Παραλειπομένων“ (“Paralipoménōn“), also ebenfalls “Dinge/Ereignisse, die übriggelassen wurden“.
Jeder Bibelleser, der sich mit den Chronikbüchern beschäftigt, wird feststellen – sofern er auch die beiden Bücher der Könige und des Propheten Samuel gelesen hat – dass diese zu ca. 50 Prozent von den Ereignissen berichten, die uns auch in den anderen vier Büchern berichtet werden¹. Bei diesem (oberflächlichen) ersten Eindruck sollten wir jedoch nicht stehen bleiben. Ein Kommentator weist darauf hin: “Die Bücher der Könige haben uns die allgemeine und öffentliche Geschichte der Regierung Gottes in Israel gegeben, und von Rehabeam bis zu Zedekia die Geschichte der Könige von Juda – eine Geschichte, in der das Ergebnis des Falles der königlichen Macht angesichts der Langmut Gottes offenbar wird. Das, was in diesen Büchern über Juda gesagt wird, reicht nur bis zur Verbindung von Juda mit dem Hause Israel während dieses Zeitabschnittes. Die Bücher der Chronika geben uns die Geschichte desselben Zeitabschnitts von einer anderen Seite gesehen (d. h. von der Seite des Segens und der Gnade Gottes), und insbesondere geben sie uns die Geschichte des Hauses Davids, um dessentwillen diese Gnade geoffenbart wird. (…) Diese Bücher (…) bewahren Gottes Geschichte Seines Volkes, durch den Heiligen Geist so berichtet, wie Er es liebte, ihrer zu gedenken, und nur solche Fehler werden gezeigt, die bekannt sein müssen, um die Unterweisungen Seiner Gnade zu verstehen.“²

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Scan einer Seite des Codex Aleppo Codex. Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem 1. Buch Chronik (3) – via Wikimedia Commons [Public Domain]

Aus den Chronikbüchern selbst ist zu ersehen, dass sie erst nach der Babylonischen Gefangenschaft ge- schrieben bzw. zusammengestellt wurden (vgl. 1. Chronik 3, 19; 1. Chronik 9, 1 – 2; 2. Chronik 36, 22 – 23). Namentliche Angaben zum Autor finden sich in keinem der beiden Chronikbüchern. Im Judentum wird aufgrund entsprechender Aussagen des Babylonischen Talmuds (Traktat Baba Bathra 15a4) die Autorenschaft der Chronikbücher auf den Priester und Schriftgelehrten Esra (Esra 7, 11) zurückgeführt. Dafür sprechen verschiedene Argumente: Zum einen deutet die genaue Beschreibung des Dekrets Kyros II in 2. Chronik 36, 22 auf eine Abfassungszeit hin, die in etwa der Zeit Esras entspricht. Des Weiteren spielen in den Chronik-büchern – wie auch im Buch Esra  – Geschlechtsregister eine wichtige Rolle (vgl. 1. Chronik 1, 11. Chronik 9, 44 [eigentlich bis 1. Chronik 10, 14]; Esra 2, 1 – 62; Esra 7, 1 – 5). Auch die nicht zu übersehenden sprachlichen Übereinstimmungen, die sich in 2. Chronik 36, 22 – 23 und Esra 1, 1 – 4 finden, werden von den Auslegern, die in Esra den Schreiber der Chronikbücher sehen, als Beleg für seine Autorenschaft gewertet. Andere Exegeten halten die in beiden Büchern vorkommenden sprachlichen Unterschiede jedoch für so gravierend, dass sie Esra als Autor ausschließen. Jedoch gehen auch sie davon aus, dass es sich bei dem Autor um einen Zeitgenossen von Esra und Nehemia gehandelt hat und dass dieser ebenfalls ein Priester und Schriftgelehrter war. Für Letzteres sprechen auch die drei Schwerpunkte die sich in diesem Buch finden (und auf die ich später noch detaillierter eingehen werde). Denn bei diesen drei Schwerpunkten handelt es sich ganz offensichtlich um Themen, mit denen sich primär Priester und Schriftgelehrte befassten:

1. Die Stammbäume in 1. Chronik 19, durch die der Chronist die Bedeutung der religiösen Reinheit des Volkes hervorhebt.

2. Der große Raum, den der Tempel und die Bundeslade in seinem Buch einnehmen, wodurch der starke Wunsch des Chronisten nach der Wiederherstellung eines gesetzestreuen Tempelgottesdienstes deutlich wird.

3. Die umfangreiche Erinnerung an die Herrlichkeit des davidischen Königreiches und die zahlreichen Verweise auf das verheißene Kommen des Messias, stellen den Versuch eines in den alttestamentarischen Schriften geschulten Priesters dar, durch den er das Volk zum Wiederaufbau ihres Staates in dem ihnen von Gott verheißenen Land ermutigen will.

Auch eine andere Tatsache deutet darauf hin, dass der Chronist aus dem Kreis der Priester und Schriftgelehrten stammte. Im 1. Buch Chronik nimmt der Autor auf vielfältige Quellen Bezug. Dabei handelt es sich um kanonische, also biblische, Quellen, wie 1. Mose, 1. & 2. Samuel, 1. & 2. Könige, Richter, Ruth, Psalmen, Jesaja, Jeremia, Klagelieder und Sacharja. Zitiert werden aber auch außerkanonische, also nicht biblische Quellen: das Buch der Könige Israels (1. Chronik 9, 1; 2. Chronik 20, 34; 2. Chronik 33, 18), das Buch der Chronik des Königs David (1. Chronik 27, 24), das Buch der Könige Judas und Israels bzw. Israels und Juda (2. Chronik 16, 11; 2. Chronik 25, 26; 2. Chronik 27, 7; 2. Chronik 28, 26; 2. Chronik 32, 32; 2. Chronik 35, 27; 2. Chronik 36, 8), die Erklärung zum Buch der Könige (2. Chronik 24, 27), das Buch Samuels, des Sehers (1. Chronik 29, 29), das Buch Nathans, des  Propheten (1. Chronik 29, 29; 2. Chronik 9, 29), das Buch Gads, des Sehers (1. Chronik 29, 29), die Weissagung Achijas von Silo (2. Chronik 9, 29), das Buch Iddos, des Sehers (2. Chronik 9, 29; 2. Chronik 12, 15; 2. Chronik 13, 22), die Geschichten Semajas, des Propheten (2. Chronik 12, 15), das Buch der (unbekannten) Seher (2. Chronik 33, 19). Gleason Archer Jr. weist in diesem Zusammenhang auf die in dem apokryphen Buch 2. Makkabäer  2, 13 – 15a erwähnte große Bibliothek des Statthalters Nehemia hin, au der der Chronist geschöpft haben könnte5 .

Der früheste Zeitpunkt, an dem diese Bücher hätten entstehen können, ist kurz nach der Verkündung jenes Dekrets, mit dem der medo-persische König Kyros II den Juden die Rückkehr in das verheißene Land  und den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem gestattete, also 538 v. Chr. Denn dieses Dekret wird in 2. Chronik 36, 20 – 23 erwähnt. Aufgrund der Namensangaben in 1. Chronik 3, 1 – 24 (insbesondere 1. Chronik 3, 17 – 24 und 2. Könige 24, 18, die nach Generationen gerechnet einen Zeitraum von ca. 200 bzw. ca. 125 Jahren ergeben, datiert die Mehrheit der konservativen Ausleger das Buch in die Zeit zwischen 450 – 400 v. Chr. 

Inhalt und Aufteilung des Buches

Wir können das 1. Buch Chronik in zwei große Blöcke einteilen:

In Block I (1. Chronik 11. Chronik 9) werden die historischen Wurzeln des Volkes Israel aufgezeigt. Dabei geht es im ersten Abschnitt (1. Chronik 11. Chronik 3)  um die Nachkommen des Königs Davids. Der zweiten Abschnitt (1. Chronik 41. Chronik 9) behandelt das gesamte “Haus Israel“ und kann noch einmal in 5 Unterabschnitte aufgeteilt werden:

  1. die Nachkommen Judas (1. Chronik  4, 1 – 23)
  2. die Nachkommen Simeons (1. Chronik 4, 24 – 43)
  3. die Nachkommen von Ruben, Gad und Manasse (1. Chronik 5, 1 – 26)
  4. die Nachkommen Levis (1. Chronik 6, 1 – 81)
  5. die Söhne der Stämme Issaschar, Benjamin, Naphtali, Mansasse, Ephraim und Asser (1. Chronik 7, 1 – 40)

Im dritten Abschnitt (1. Chronik 81. Chronik 9) geht es dann um die Nachkommen Benjamins, aus dessen Linie König Saul stammte. Nach einem kurzen Exkurs bzgl. der Einwohner Jerusalems und der Tempeldiener, wird dann in 1. Chronik 9, 35 – 44 das Geschlechtsregister von König Saul und seinem Sohn Jonathan wiedergegeben.

Block II (1. Chronik 101. Chronik 29) berichtet von dem Tod Sauls (1. Chronik 10), der Krönung Davids und seiner Hauptstadt (1. Chronik 11, 1 – 9), den Helden Davids ( 1. Chronik 11, 101. Chronik 12, 40) und im vierten Abschnitt (1. Chronik 131. Chronik 16) von Davids Handeln mit der Bundeslade. Diesen großen Abschnitt können wir wieder in 5 Unterabschnitte aufteilen:

  1. die gescheiterte Wegführung der Bundeslade aus Kiriath-Jearim und der Tod Ussas (1. Chronik 13),
  2. die Bestätigung der Königsherrschaft Davids (1. Chronik 14),
  3. die Berufung der Priester und Leviten (1. Chronik 15, 1 – 25)
  4. die Überführung der Bundeslade nach Jerusalem (1. Chronik 15, 261. Chronik 16, 6)
  5. Davids Lob- und Danklied (1. Chronik 16, 7 – 43)

Der fünfte und letzte Abschnitt (1. Chronik 171. Chronik 29) dieses zweiten Blocks, der sich ganz auf Gottes Bundesverheißungen für König David und dessen Haus konzentriert, umfasst acht Unterabschnitte:

  1. Verheißungen Gottes für David und seine Nachkommen (1. Chronik 17)
  2. Davids Siege (1. Chronik 181. Chronik 20)
  3. Davids Volkszählung und ihre Folgen (1. Chronik 21)
  4. Davids Vorbereitungen für den Tempelbau (1. Chronik 22)
  5. Bestimmungen für die Durchführung des Tempeldienstes (1. Chronik 231. Chronik 26)
  6. Bestimmungen für die Verwaltung des Königreiches (1. Chronik 27)
  7. Davids letzte Vorbereitungen für seine Nachfolge und den Tempelbau (1. Chronik 28, 11. Chronik 29, 20)
  8. Bericht über die Einsetzung Salomos als König und den Tod Davids (1. Chronik 29, 21 – 30)

Fußnoten:

¹=  J. Barton Payne, Professor of Old Testament, Covenant Seminary, St. Louis/ Missouri, gibt die Höhe des vom restlichen Text des Alten Testaments unabhängigen Text der Chronikbücher in “The Validity of the numbers in Chronicles, Part I“, “Bibliotheca Sacra“, Ausgabe Nr.  136 (July – September 1979), Seiten 109 – 128, mit 57, 8 % an. 

²= J. N. Darby: „Betrachtungen über das Wort Gottes“, Band II, Seite 141, Ernst-Paulus-Verlag, Neustadt, o. J.

³= Eine Kopie dieser Ausgabe des 1. Chronikbuches als hochauflösender Scan findet sich unter: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b6/Aleppo-HighRes3-Ketuvim1-Chronicles.pdf

4= siehe „Soncino Babylonian Talmud“ – Volltext des Babylonischen Talmuds in der englischen Übersetzung von Rabbi Dr. I. Epstein, 1934, unter: http://www.come-and-hear.com/bababathra/bababathra_15.html

5= “Das alles findet man auch in den Schriften und den Denkwürdigkeiten, die zu Nehemias Zeiten geschrieben worden sind; ferner, wie Nehemia die Bücher über die Könige und Propheten, auch die von David und die Briefe der Könige über Weihgeschenke zusammengebracht und eine Bibliothek eingerichtet hat. Ebenso hat aber auch Judas die Bücher, die verloren gegangen waren, weil Kriege im Lande gewesen sind, alle wieder zusammengebracht; und wir haben sie hier. Solltet ihr sie also brauchen, so lasst sie bei uns holen!“ (2. Makkabäer2, 13 – 15 zitiert nach der Luther-Übersetzung 1984, durchgesehene Ausgabe 1999, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)

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