Hintergrund 10: Der Jakobusbrief

Blick auf die Altstadt von Jerusalem vom Skopusberg aus * Foto: Joe Freeman via Wikimedia Commons, mailto:wiki@joefreeman.net (Own work) [CC-BY-SA-2.5], via Wikimedia Commons

 
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Hintergrund: Der Jakobusbrief

Nach dem Zeugnis der frühen Kirchenväter¹ handelt es sich bei dem Autor des Jakobusbriefes um den Halbbruder (Galater 1, 19; Markus 6, 3) des Herrn Jesus Christus, der zugleich ein Bruder des Judas, also des Verfassers des uns bekannten Judasbriefes, war (Matthäus 13, 55). Diesen Jakobus müssen wir von jenem anderen Jakobus unterscheiden, der ein Bruder des Johannes und Sohn des Zebedäus war (Markus 1, 19). Denn der gleichnamige Bruder des Johannes starb schon in der ersten Zeit der Urchristenzeit als Zeuge für seinen Glauben (Apostelgeschichte 12, 2). Auch mit dem gleichnamigen Sohn des Alphäus (Markus 3, 18) und dem gleichnamigen Vater des Judas (Lukas 6, 16) dürfen wir ihn nicht verwechseln.
Von Jakobus und den anderen Halbbrüdern des Herrn berichten uns die Evangelien, dass sie lange Zeit nicht an Ihn glaubten (Johannes 7, 3 – 5; Markus 3, 21). Dieser Zustand änderte sich erst mit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten (Apostelgeschichte 1, 14; 1. Korinther 15, 7).
Gemäß dem Zeugnis des Apostels Paulus gehörte Jakobus – neben Petrus und Johannes – bald zu den drei “Säulen“ der Versammlung (= Gemeinde) in Jerusalem (Galater 2, 9; vgl.  Apostelgeschichte 12, 17; Apostelgeschichte 21, 18). Auch während des Jerusalemer Konzils fiel ihm eine wichtige Rolle zu (Apostelgeschichte 15, 13 – 21). Ein Vergleich der in seiner Rede auf diesem Konzil gebrauchten griechischen Ausdrücke mit denen, die der Autor des Jakobusbriefes benutzt, bestärken die Überzeugung, dass es sich um dieselbe Person handeln muss, denn sie offenbaren viele Übereinstimmungen (vgl. Jakobus 1, 1 mit Apostelgeschichte 15, 23; Jakobus 1, 27 mit Apostelgeschichte 5, 14Jakobus 1, 27 mit Apostelgeschichte 15, 29)².
Der Tod des Jakobus wird von dem römischen Historiker Flavius Josephus erwähnt und kann aufgrund seiner Angaben in das Jahr 62 n . Chr. datiert werden. Josephus schildert, wie der jüdische Hohepriester Ananus II. den Tod des römischen Statthalters Porcius Festus, der auch in Apostelgeschichte 25, 13 – 16 erwähnt und dessen Tod in das Jahr 62. n. Chr. datiert wird, nutzte, um vor der Ankunft des neuen Statthalters Jakobus und andere Christen steinigen zu lassen.³
Da die im Jakobusbrief gewählte Ausdruckweise sehr der auch auf dem Konzil von Jerusalem benutzten ähnelt und da der Brief offenbar an rein judenchristliche Versammlungen (= Gemeinden) geschrieben wurde, die es nur in der ersten Zeit des Urchristentums gab, gehen etliche Kommentatoren von einer frühen Abfassungszeit zwischen 45 bis 49 n. Chr. aus. Einige datieren den Brief sogar noch früher und vermuten in ihm einen der ersten Briefe des Neuen Testaments.
Damit kommen wir zu den Empfängern dieses Briefes. In Jakobus 1, 1 heißt es:

“Jakobus, Knecht  Gottes und des Herrn Jesus Christus, den zwölf Stämmen, die in der Zerstreuung sind, seinen Gruß!“

Immer wieder ist die Meinung vertreten worden, dieser erste Vers des Jakobusbriefes rechtfertige die Lehre, die Versammlung (= Gemeinde/Kirche)  sei das “neue“ bzw. das “geistliche Israel“ und habe somit das irdische Volk Gottes abgelöst oder ersetzt (“Substitutionstheologie“ bzw. “Replacement-Theology“). Bereits an anderer Stelle bin ich auf die biblischen Gründe eingegangen, die diesen Überlegungen widersprechen (siehe die Themenreihe „Unterscheidung: Israel und die Versammlung“ unter Glimpses 2008). Betrachtet man die ersten Berichte der Apostelgeschichte, so stellt man fest, dass es zu Beginn der Versammlung (= Gemeinde/Kirche) nur Gläubige gab, die aus dem Judentum zum Glauben an Jesus Christus als ihren Messias kamen (Apostelgeschichte 2, 5 – 11). Diese gläubig gewordenen Juden hielten auch nach Pfingsten für eine gewisse Übergangszeit an den überlieferten Gesetzesvorschriften fest (siehe dazu in der Apostelgeschichte die Kapitel 28 und Apostelgeschichte 11, 19) und sonderten sich nicht sogleich vom ungläubigen Rest des Volkes ab. Durch die Verfolgungen, denen diese Judenchristen ausgesetzt waren (ab ca. 34 n. Chr. durch Saulus und ab 44. n. Chr. durch Agrippa) zerstreuten sie sich in ganz Israel (Apostelgeschichte 8, 1; Apostelgeschichte 11, 19) und darüber hinaus.

Doch nicht nur die religiöse, sondern auch die politische Situation dieser Zeit war sehr angespannt. Fast einhundert Jahre zuvor hatte der römische Heerführer Pompeius Judäa für die Römer erobert. Er verteilte die eroberten Gebiete an verschiedene regionale Fürsten, die diese in Stellvertretung für bzw. Abhängigkeit von Rom regierten. Bei dieser Aufteilung verloren viele jüdische Bürger ihren Landbesitz, was zu dauerhaftem Unmut führte. Als der römische Senat knapp 30 Jahre später Herodes zum König über Judäa bestimmte, verschärfte diese Wahl die politische Situation weiter. Um seine feudalen Bauten finanzieren zu können, erhob Herodes hohe Steuern, die es vielen kleinen Bauern unmöglich machten, ihr Land  zu behalten. Viele Menschen wurden zu Tagelöhnern, die ihre Arbeitskraft Tag für Tag aufs Neue auf den Marktplätzen anbieten und so in großer wirtschaftlicher Unsicherheit leben mussten. Lediglich in Erntezeiten stellte sich die Arbeitssituation etwas besser dar. Die “soziale Schere“ klaffte immer weiter auseinander. Auch in der räumlichen Trennung, die durch die Bewohnerschaft Jerusalems verlief, zeigten sich die sozialen Verwerfungen. Während die Aristokratie in vornehmen Häusern im höher gelegenen Teil der Stadt lebte, verteilte sich die ärmere Bevölkerung auf einfache Häuser in der  Unterstadt und im Umland.

Diese Situation war der Nährboden für soziale Unruhen. Nach dem Tod des Herodes (ca. 4. v. Chr.) kam es zu einem ersten jüdischen Aufstand, der jedoch schnell von den Römern niedergeschlagen wurde. In dieser Zeit entstand unter der Führung von Judas dem Galiläer (er wird in Apostelgeschichte 5, 37 erwähnt) und dem Priester Zadok eine paramilitärische Widerstandsbewegung gegen die römische Herrschaft. Die Anhänger dieser Gruppe sind auch Bibellesern bekannt. Sie trugen den Namen “Zeloten“ und standen während der ganzen Zeit, die von den Evangelien beschrieben wird (und darüber hinaus bis 73 n. Chr.) in der Auseinandersetzung mit der römischen Besatzungsmacht. Einer der Jünger Jesu entstammte sogar dieser Gruppe. Es ist der in Matthäus 10, 4, Markus 3, 18, Lukas 6, 15 und Apostelgeschichte 1, 13 genannte “Simon, der Zelot“ oder “Simon Zelotes“ (in einigen Stellen auch “Simon aus Kana“ genannt).

66 n. Chr., also vier Jahre nach dem Tod des Jakobus, kam es zu den schwersten Aufständen, die sich zu dem großen jüdisch-römischen Krieg ausweiteten und mit der Zerstörung des Tempels und der Vertreibung der Juden endeten. Die letzte Bastion des Widerstands, Massada, fiel 73 n. Chr.
In dieser wirtschaftlich, politisch und religiös hoch angespannten Situation brauchten die Gläubigen Trost und Belehrung, die ihnen Zuversicht und Stabilität vermittelten. Genau das sind die Schwerpunkte des Jakobusbriefes.

Auf diesem Hintergrund sind auch die Besonderheiten, die sich im Jakobusbrief finden, besser zu verstehen: Der Brief enthält viele Übereinstimmungen4 mit dem Matthäusevangelium, also jenem Evangelium dessen spezielle Zielgruppe ebenfalls an Christus gläubig gewordene Juden sind (vgl. „Unterscheidung: Die vier Evangelien und ihre Zielgruppen“):

a)  Jakobus erwähnt viele Charaktere aus dem Alten Testament (so z.B. Abraham [Jakobus 2, 21 – 23], Rahab [Jakobus 2, 25], Elia [Jakobus 5, 17 – 18], Hiob [Jakobus 5, 11]), die zehn Gebote (Jakobus 2, 10 – 11) und das “Gesetz des Mose“ (z.B. in Jakobus 4, 11).

b) In seinem Stil ähnelt der Brief mit seiner Vielzahl an ermahnenden Worten dem Buch der Sprüche, denn er legt mehr Wert auf die Glaubenspraxis, das praktische Ausleben des Glaubens, als auf die Glaubenslehre. Nur wenige grundlegende christliche Lehren werden in darin aufgezeigt. Der Brief ist ein klares Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott, der durch Jesus Christus der Vater der Gläubigen ist (Jakobus 1, 1 + 27; Jakobus 2, 19), zu dem Herrn Jesus Christus (Jakobus 1, 1; Jakobus 2, 1) und zu dem Heiligen Geist (Jakobus 4, 5). Die Neugeburt durch das Wort Gottes (Jakobus 1, 18), die Innewohnung des Heiligen Geistes (Jakobus 4, 5) in dem Gläubigen  und die Erwartung der Wiederkunft des Herrn (Jakobus 5, 7 – 8)  werden erwähnt. Andere wichtige Lehren des christlichen Glaubens (z.B. über die Erlösung durch Christus, die Stellung, in die der Gläubige durch Christus versetzt wurde u.v.a.m.) werden nicht angesprochen.

Aus diesen Gründen – und wegen der Aussage bzgl. der “Werke des Glaubens“ in Jakobus 2, 21 – 24 – hat der Reformator Martin Luther lange Zeit daran gezweifelt, ob es sich bei dem Jakobusbrief wirklich um einen kanonischen Brief handelt und ob dieser zum Neuen Testament gehören würde. Doch der scheinbare Widerspruch zwischen der Aussage des Apostels Paulus in Römer 3, 28 (“Denn wir urteilen, daß ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne  Gesetzeswerke.“) und der Aussagen des Apostels Jakobus in Jakobus 2, 24 (“Ihr sehet also, daß ein Mensch aus  Werken gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben allein.“) löst sich sehr schnell auf, wenn man den jeweiligen Kontext genauer betrachtet: Während der Apostel Paulus die Gläubigen in Rom über die Erlösung des Sünders belehrt, die dieser sich durch kein Werk der Welt erarbeiten, geschweigedenn erkaufen kann, belehrt der Apostel Jakobus die Empfänger seines Briefes darüber, woran sich echter, aus Gott geborener Glaube erweist: nämlich an Werken, die dem Glauben entsprechen. Die beiden Apostel widersprechen einander nicht, sie zeigen gleichsam zwei Seiten einer Medaille.

Überblick und Themenschwerpunkte

Wir können den Jakobusbrief grob wie folgt einteilen:

Nach einer kurzen Einleitung (Kapitel 1, 1) folgt ein erster großer Block, in dem der Apostel die Gläubigen darüber belehrt, wie wahrer Glaube sich auch in schweren  Prüfungen bewährt: In Kapitel 1, Verse 2 – 11 wird der Sinn und Wert der Glaubensprüfungen erläutert. Kapitel 1, Verse 12 – 18 führt die Möglichkeiten auf, zwischen denen der Gläubige in Prüfungssituationen wählen kann. Außerdem erklären diese Verse, wo die Quelle der Versuchung zu finden ist. Kapitel 1, Verse 19 – 27 zeigt die richtige Art der Reaktion eines Gläubigen auf Versuchungen und Prüfungen auf.

Der zweite große Abschnitt befasst sich mit der Sünde der Parteilichkeit und der Bedeutung des lebendigen Glaubens. Kapitel 2, Verse 1 – 13 zeigt die Probleme auf, die durch Parteilichkeit entstehen und wie sie durch wahre Liebe zum Nächsten überwunden werden können. Kapitel 2, Verse 14 – 26 beleuchten die heilsentscheidende Rolle, die der lebendige Glaube des Christen spielt. Wie bereits oben ausgeführt, stellen die “Werke“, die bei Jakobus betont werden, den Ausfluss des wahren, lebendigen Glaubens dar und dürfen nicht als Mittel zur Erlösung missverstanden werden.

Der dritte Abschnitt enthält Ausführungen zur Bedeutung des Redens des Gläubigen (Kapitel 3, Verse 1 – 12) und zu der Rolle, die die göttliche Weisheit im Leben des Gläubigen spielen soll (Kapitel 3, 13 – 18).

In einem vierten Abschnitt geht der Apostel auf Konflikte unter den Gläubigen und die Bedeutung der gegenseitigen demütigen Unterordnung ein (Kapitel 4, Verse 1 – 17). Abschnitt 5 enthält Warnungen zum Thema Geld und Reichtum (Kapitel 5, Verse 1 – 6) sowie Belehrungen über die Bedeutung der Geduld im Leben des Gläubigen (Kapitel 5, Verse 7 – 12). In Kapitel 5, Verse 13 – 18 werden verschiedene Probleme im Zusammenhang mit der Kraft des Gebets angesprochen.

Die beiden abschließenden Verse (Kapitel 5, 19 – 20) können trotz ihrer Kürze als eigenständiger sechster Abschnitt gewertet werden, denn sie befassen sich mit dem (selbständigen) Fragenkomplex, wie ein von der christlichen Wahrheit abgeirrter Gläubiger wiederhergestellt werden kann.

Fußnoten:

¹= Prof. Dr. Erich Mauerhofer führt diesbezüglich u.a. Hyppolytus (gest. um 238 n. Chr.), Origenes, Eusebius, Hilarius und Athanasius an und bemerkt, dass der Brief auf der Synode von Kathargo (419 n. Chr.) endgültig unter die kanonischen Schriften des Neuen Testaments gezählt wurde. Vgl.: Erich Mauerhofer: “Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments“, Band II, Seite n218 – 219, Verlag für Theologie und Religionswissenschaft/Nürnberg und Reformatorischer Verlag Beese/Hamburg, 3. Auflage 2004

²= vgl.  Erich Mauerhofer a.a.O., Seite  223 – 224

³= Flavius Josephus: “Jüdische Altertümer“ übersetzt von Dr. Heinrich Clementz, XX. Buch,VIII. Kapitel, I. Absatz (seite 666 – 667),  Fourier Verlag, Wiesabden, 12. Auflage 1994

4= Einige Kommentatoren zählen bis zu 38 Parallelen.

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